Pricing-Newsletter No. 75 (2023): Die 11 häufigsten Fehler im strategischen Pricing

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit Fragen des strategischen und operativen Pricing, und das mit ganz unterschiedlichen Perspektiven. Als Geschäftsbereichsleiter in einem internationalen Konzern habe ich Preise verhandelt und Preisstrategien entwickelt, als Marketingdirektor die preisstrategische Ausrichtung von Geschäftsaktivitäten beeinflusst, als Professor für allgemeine BWL habe ich mehr als 10 empirische Studien zu den Pricing-Prozessen in Unternehmen durchgeführt, und während dieser Zeit habe ich mit meinem Team internationale Konzerne, DAX-Unternehmen und mittelständische Firmen im Pricing beraten.

Hier kommt eine zugegebenermaßen subjektive, verdichtete Zusammenfassung der Fehler im Pricing, die meiner Einschätzung nach immer noch in vielen Unternehmen verbreitet sind.

Viel Vergnügen bei der Lektüre und viele neue Erkenntnisse, und ich freue mich auf Ihre Kommentare und Ergänzungen.

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Die englische Version dieses Newsletters lesen Sie hier:
https://www.unicconsult.com/wp-content/uploads/2023/09/Riekhof-on-Pricing-No-75-en-The-11-most-common-strategic-pricing-mistakes.pdf

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

In zahlreichen Unternehmen werden nach wie vor viele Fehler beim Pricing gemacht. In seiner subjektiven, kompakten Übersicht gibt Pricing-Experte Professor Riekhof Tipps, wie Sie die 11 am weitesten verbreiteten Fehler vermeiden.

1. Das Pricing orientiert sich ausschließlich am Wettbewerb und nicht an der Zahlungsbereitschaft der Kunden.

In vielen Unternehmen spielt der Wettbewerb eine enorm wichtige Rolle für das eigene Pricing. Das bestätigen auch unsere eigenen empirischen Studien zum strategischen Pricing (zuletzt erschienen: Pricing Studie 2023: Pricing-Prozesse in der unternehmerischen Praxis – Riekhof/Breustedt 2023). Doch was kann man vom Wettbewerb hinsichtlich des Pricing wirklich lernen? Was treibt Unternehmen dazu, sich intensiv um die Preise der Wettbewerber zu kümmern? Uns begegnen in unseren Pricing-Projekten Firmen, die 15 oder 20 Mitarbeiter mit der Analyse der Wettbewerbspreise beschäftigen. Macht das wirklich Sinn? (Lesen Sie dazu auch Pricing-Newsletter No. 58).

Es gibt nur eine Gruppe von Unternehmen, die sich sehr intensiv um die Wettbewerbspreise kümmern sollten: Unternehmen, die nichts Besonderes zu bieten haben – Unternehmen also, die austauschbare Produkte und Leistungen anbieten. Dazu gehören Mineralölkonzerne, die ja ihre Preise mehrmals täglich anpassen – Kraftstoffe sind wie andere Commodities auch in der Tat ein austauschbares Produkt.

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Bei austauschbaren Commodities: Ausrichtung an den Preisen des Wettbewerbs. Foto: © iStockphoto

Allen anderen Unternehmen sei empfohlen, sich mehr dem Kunden und seiner Wahrnehmung der Preise zuzuwenden: welche Preisvergleiche stellen Kunden tatsächlich an? Wieviel Energie investieren sie in die Preisvergleiche? Welche Wechselkosten entstehen, wenn die Kunden zu einem anderen Anbieter wechseln? Strom ist sicherlich ein austauschbares Produkt, und Strom wird auch an der Börse gehandelt. Aber wie viele private Haushalte wechseln den Stromanbieter, wenn es ein günstigeres Angebot gibt?

Unsere Empfehlung No. 1:
Stecken Sie mehr Ressourcen in die Erforschung der Preiswahrnehmung Ihrer Kunden und den Wert Ihrer Leistungen aus Kundensicht.

2. Preis-Aktionismus ist wichtiger als die langfristige Preisstrategie.

Regelmäßig fragen wir in unseren empirischen Studien wie auch in unseren Pricing-Projekten, ob die Unternehmen eine dokumentierte und verabschiedete Preisstrategie besitzen (Pricing Studie 2023: Pricing-Prozesse in der unternehmerischen Praxis – Riekhof/Breustedt). Das ist in weitaus weniger Unternehmen der Fall als wir erwarten würden. Stattdessen kommt es zu Rabattaktionen, zu teilweise sehr komplexen kundenindividuellen Preisabsprachen, zu regional sehr unterschiedlichen und teilweise auch sehr widersprüchlichen Preisstrukturen. Das Durchsetzen angemessener Preise für die eigenen Leistungen wird dadurch sehr stark erschwert.

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Preisaktionismus kann sehr leicht zum Problem für das strategische Pricing werden. Foto: © iStockphoto

Unsere Empfehlung No. 2
Stecken Sie mehr Zeit und Energie in die Ausarbeitung, Verabschiedung und Umsetzung einer durchdachten Preisstrategie, und verzichten Sie auf Preis-Aktionismus.

3. Das Pricing liegt weitestgehend in der Verantwortung des Vertriebs.

Gerade in mittelständischen Unternehmen finden wir oft eine sehr einfache Arbeitsteilung zwischen Entwicklung und Produktion auf der einen Seite (die das Produktprogramm definiert und herstellt und damit die Kosten verantwortet) und dem Vertrieb auf der anderen Seite, der die Preise und Rabatte gestaltet.

Das ist eine denkbar schlechte Form der Arbeitsteilung (vgl. Pricing-Newsletter No. 2 und Pricing-Newsletter No. 28). Denn das Pricing ist nicht eine betriebliche Funktion am Ende der unternehmerischen Wertkette, sondern ein horizontaler, gemeinsamer, bereichsübergreifender Prozess. Alle Bereiche sollten gemeinsam darüber befinden, welche für den Kunden wertschöpfenden Produkte und Leistungen erstellt werden sollen, welcher Wert also erzeugt wird und welcher Preis daher gerechtfertigt ist.

Damit verhindern Sie auch das klassische Dilemma, dass sich der Vertrieb über die zu hohen Herstellkosten beschwert und die Produkte nur mit entsprechenden Rabatten absetzen kann.

Empfehlung No. 3
Schaffen Sie einen pragmatischen, bereichsübergreifenden Prozess des strategischen Pricing, an dem alle Unternehmensbereiche beteiligt sind, die gemeinsam die Preisstrategie verantworten und umsetzen.

4. Das Produktmanagement hat keine klare Preisstrategie für alle Produktbereiche und Categories entwickelt.

In vielen Unternehmen hat das Produktprogramm aus guten Gründen eine erhebliche Komplexität erreicht, um allen unterschiedlichen Marktkonstellationen und Kundenanforderungen Rechnung zu tragen. Ein entsprechendes Produkt-Management ist geschaffen worden, um die Weiterentwicklung dieses Produktprogramms zu steuern und um auch für eine entsprechende Ertragskraft der Bereiche zu sorgen.

Doch haben diese Produkt-Manager eine langfristige Preisstrategie für ihren Verantwortungsbereich entwickelt? Unserer Erfahrung nach ist das sehr selten der Fall: vor allem Kostensteigerungen sind der Anlass für Preisanpassungen, und die Produkte mit schlechten Deckungsbeiträgen werden auf den Prüfstand gestellt – das ist noch keine Preisstrategie (vgl. hierzu vor allem meinen Pricing-Newsletter No. 29 und den Pricing-Newsletter No. 48).

Empfehlung No. 4
Sorgen Sie dafür, dass alle Produkt-Manager für ihren Verantwortungsbereich eine mittelfristige Pricing-Roadmap entwickeln, die sie der Geschäftsführung zur Abstimmung präsentieren. Machen Sie die Produkt-Manager zum Treiber des strategischen Pricing.

5. Das Pricing ist nicht elementarer Teil des jährlichen Budgetierungs- und Planungs-Prozesses.

Wir haben es im ersten Semester gelernt: Umsatz ist Preis mal Menge. Und so habe ich es auch bei meinem ersten Arbeitgeber kennengelernt: im Budgetierungsprozess gibt es eine detaillierte produktgruppenbezogene Mengenplanung und eine Planung der Preisentwicklung. Eine Betrachtung der geplanten und der realisierten Durchschnittspreise nach Produktbereichen und Vertriebskanälen, der Mengenentwicklungen nach Marktsegmenten und Kundengruppen war eine Grundvoraussetzung jeglicher Planung.

Mir ist erst später klar geworden, dass sehr viele Unternehmen es sich hier viel zu einfach machen: sie planen Umsätze, nicht aber Mengen und Preise. Und damit lassen sich in den Systemen die Preisentwicklungen nicht wirklich gut abbilden – ein elementares Defizit für ein professionelles Pricing (vgl. hierzu auch meinen Pricing-Newsletter No. 45).

Empfehlung No. 5
Stellen Sie sicher, dass in jedem Produktbereich Preise und Mengen separat erfasst, geplant und ausgewertet werden.

6. Die IT bestimmt das Tempo bei der Umsetzung von Pricing-Prozessen.

Die detaillierte Steuerung des Pricing setzt voraus, dass entsprechende kunden- und produkt-bezogene Daten über die geplanten und die tatsächlich realisierten Preise vorhanden sind. Aber da stoßen viele Unternehmen an die Grenzen ihrer IT-Systeme: die Umsetzung von Preisstrategien droht an einem Mangel an preisbezogenen Informationen zu scheitern.

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Für den IT-Bereich leiten sich wichtige Vorgaben aus der Preisstrategie und den Pricing-Prozessen ab. Foto: © iStockphoto

Doch muss man sich vom IT-Bereich das Tempo vorgeben lassen? Wir sehen da eine klare Alternative: schaffen Sie zunächst ein Pricing Data Warehouse, das unabhängig von der IT-Infrastruktur entsprechende Planungs- und Analyse-Tools bereitstellt. Lassen Sie das Tempo in Ihrem Pricing-Projekt nicht von der IT bestimmen.

Empfehlung No. 6
Setzen Sie auf ein pragmatisch aufgebautes Pricing Data Warehouse, wenn Ihre IT-Systeme die notwendigen Planungsprozesse im Pricing nicht unterstützen.

7. Die Pricing-Kompetenz Ihrer Führungskräfte ist nicht elementarer Teil der Management-Entwicklung.

Regelmäßig fragen wir in unseren Workshops, Projekten und Seminaren, wer aus dem Kreis der Führungskräfte schon einmal an einem Pricing-Workshop oder -seminar teilgenommen hat. Die Antwort ist immer die gleiche: weniger als 10 % haben sich mit den Grundlagen des Pricing wirklich auseinandergesetzt. Das bestätigen im Übrigen auch unsere empirischen Studien (Pricing Studie 2023: Pricing-Prozesse in der unternehmerischen Praxis – Riekhof/Breustedt). Wie viele Seminartage investieren Sie jedes Jahr in die Pricing-Kompetenz Ihrer Mitarbeiter (siehe hierzu meinen Pricing Newsletter No. 51) ?

Beim (strategischen) Pricing geht es letztlich darum, den Wert der eigenen Leistungen richtig festzulegen. Bei diesem Thema sollten alle Führungskräfte, ob aus Marketing, Produktmanagement, Entwicklung, Vertrieb, Service oder Controlling, auf ein fundiertes Basiswissen zurückgreifen können.

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Unsere empirischen Studien zeigen, dass das Thema Pricing-Kompetenz selten auf der Agenda der Managemententwicklung steht. Foto: © iStockphoto

Empfehlung No. 7
Sorgen Sie dafür, dass Ihr Führungsteam wie auch der Führungsnachwuchs ein fundiertes Know how in Bezug auf die Hebelwirkung des Pricing, die preisstrategischen Optionen, die Umsetzung von Preisstrategien und auch die Gestaltung von Pricing-Prozessen besitzt.

8. Die Lösung aller Pricing-Probleme wird in der Schaffung eines Pricing-Managers gesehen.

Manchmal erscheint es uns wie eine reflexhafte Reaktion: wenn wir im Rahmen von Pricing-Projekten die Ertragspotentiale eines strategischen Pricing aufzeigen, dann wird sehr schnell vorgeschlagen, doch die Position eines Pricing-Managers zu schaffen. Und unsere empirischen Studien belegen, dass die Anzahl der Unternehmen seit Jahren zunimmt, die eine eigene Pricing-Abteilung bzw. einen Pricing-Manager geschaffen haben (siehe hierzu meine Pricing-Newsletter No. 26 und Pricing-Newsletter No. 64). Doch ist das wirklich immer die richtige Lösung?

Empfehlung No. 8
Prüfen Sie zunächst alle Alternativen zur Schaffung eines Pricing-Managers. Wenn die Pricing-Prozesse nicht stimmen und es keine klare Preisstrategie gibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Pricing-Manager scheitern wird.

9. Das Controlling hat das Thema Pricing nicht wirklich im Blick.

Einen kritischen Blick werfen wir regelmäßig auf die Berichte aus dem Controlling zum Thema Pricing: gibt es ein systematisches Preis-Controlling mit entsprechenden Berichten und Auswertungen? Gibt es eine Darstellung der Abweichungen zwischen Preis-Vorgaben bzw. Zielpreisen und den in den Regionen und Vertriebskanälen tatsächlich realisieren Preisen? Gibt es differenzierte Aussagen zur Umsetzung der geplanten Preiserhöhungen und zur Entwicklung der durchschnittlichen Preise pro Produkt-Segment? Gibt es detaillierte Auswertungen zu den Rabatten nach Kundengruppen und Vertriebskanälen? Nur wenige Unternehmen haben ein professionelles Preis-Controlling etabliert (siehe hierzu meinen Pricing-Newsletter No. 45).

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Der Controlling-Bereich sollte dem Preis- und Rabattcontrolling mehr Aufmerksamkeit schenken. Foto: © iStockphoto

Empfehlung No. 9
Schaffen Sie ein systematisches und detailliertes Preis-Controlling.

10. Der Vertrieb muss keine detaillierten Rabatt-Analysen vorlegen.

Wenn in einem internationalen Konzern mit 6 Mrd. € Umsatz durchschnittlich 25% des Umsatzes für Rabatte vergeben werden, dann sprechen wir immerhin von 1,5 Mrd. € – ein doch erheblicher Ausgaben-Block, der detaillierte Analysen – und Rechtfertigungen – verlangt. Es kann durchaus sinnvoll und auch branchenüblich sein, Rabatte in dieser Größenordnung zu geben. Und Listenpreise sind in manchen Branchen nicht mehr als eine grobe erste Orientierung.

Es lohnt sich aber angesichts der hier liegenden Ergebnispotentiale, die Rabatte sehr detailliert zu analysieren nach Produkten, Vertriebskanälen, Kundengruppen, Auftragsgrößen, Lieferketten, Auslastungsquoten oder saisonalen Aspekten. Und vor allem ist es unabdingbar, für jeden gewährten Rabatt systemseitig Begründungen zu erfassen und diese auch auszuwerten (siehe hierzu meine Pricing-Newsletter No. 19, No. 22 und No. 65).

Empfehlung No. 10
Lassen Sie sich systematische und detaillierte Auswertungen und Begründungen zu den gewährten Rabatten vorlegen.

11. Die Umsetzung der Preisstrategie und das Erreichen von Preiszielen wird nicht incentiviert.

Eine alte Management-Regel lautet: What gets measured gets done. Das kann man recht einfach erweitern: was incentiviert wird, wird umgesetzt. Das gilt gerade auch für das Pricing. In der Praxis dominieren allerdings immer noch umsatzbezogene Zielgrößen und Anreizsysteme, allenfalls ergänzt durch den Deckungsbeitrag als Zielgröße. Doch im Deckungsbeitrag kommt die Umsetzung von Preisstrategien nicht wirklich zum Ausdruck. Auf die preisstrategischen Ziele bezogene Anreize müssen sehr viel konkreter sein wie etwa die Einhaltung von Zielpreisen, die Durchsetzung von Preiserhöhungen, das Erreichen von Mengenzielen nach Preissenkungen und die Umsetzung von Rabattvorgaben.

Empfehlung No. 11
Schaffen Sie im Rahmen des jährlichen Zielvereinbarungs-Prozesses konkrete Anreize zur Umsetzung der preisstrategischen Vorgaben.

Eine Bemerkung zum Schluss

Meine wichtigste – übergreifende – Empfehlung möchte ich Ihnen zum Schluss mitgeben: starten Sie mit maximal drei oder vier sorgfältig und gemeinsam (!) ausgewählten preisstrategischen Themen, die in einem Zeitraum von 12 Monaten mit allem Nachdruck vorangetrieben und umgesetzt werden.

Die Erfolge werden das gesamte Team mit Sicherheit motivieren, am Thema Preisstrategie weiterzuarbeiten. Und im Folgejahr werden dann zwei oder drei weitere preisstrategische Initiativen erarbeitet und umgesetzt. Die Pricing-Kompetenz eines Unternehmens entsteht nicht in 12 Monaten. Aber die ersten Erfolge sind bereits im ersten Jahr sichtbar.

Übrigens: Eine englischsprachige Version dieses Pricing-Newsletters No. 75 ist in Vorbereitung.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – und vielleicht sehen wir uns ja bald in Hamburg in einem meiner Pricing-Seminare?

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

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