Pricing-Newsletter No. 48 (2021): Pricing-Rollen für Ihre Produkte schaffen und den strategischen Beitrag aller Produkte festlegen

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie differenziert sind eigentlich die strategischen Vorgaben, die in Ihrem Unternehmen für das strategische Pricing von Produkten und Produktgruppen zum Tragen kommen? Gibt es überhaupt eine preis-strategische Strukturierung Ihres Produkt-Programms?

Wie man eine solche Struktur, solche Pricing-Rollen, schaffen kann und welche Optionen und praktischen Beispiele es hier gibt, darum geht es in unserem heutigen Pricing-Newsletter.

Viel Freude und spannende Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Manche Produkte sind Mengenbringer, mit anderen verdienen wir richtig Geld. Wie differenziert ist in Ihrem Unternehmen eigentlich die preis-strategische Strukturierung Ihrer Produkte bzw. Dienstleistungen? Mit den heute vorgestellten 13 verschiedenen Pricing-Rollen zeigen wir praktische Beispiele für eine sinnvolle Differenzierung, die einige Vorteile bietet.

Was sind Rollen-Modelle im strategischen Pricing?

Nicht alle Produkte eines Unternehmens sollten preisstrategisch gleichbehandelt werden. Manche Produkte vertragen relativ höhere Preise bzw. Kalkulationen, andere stehen in ihren Märkten stärker unter Druck oder sie bieten im Wettbewerbsvergleich nichts wirklich Besonderes. Wie Unternehmen die Preis-Elastizität ihrer Produktpalette einschätzen, haben wir in unseren empirischen Studien regelmäßig thematisiert. Hier ist das Ergebnis unserer Studie, wo wir nach dem Anteil der besonders preissensitiven Produkte gefragt haben:

Pricing-Rollen

Pricing-Studie Riekhof/Wille Abb. 10

Wie kann man die Unterschiede in der (vermuteten oder auch tatsächlich gemessenen) Preis-Sensitivität angemessen abbilden, wenn ein Unternehmen über komplexe Produkt-Paletten von beispielsweise 20.000 oder mehr Produkten verfügt? Wir arbeiten in Pricing-Projekten mit einem Rollen-Modell, das ich in diesem Newsletter schildern möchte.

Das LSDC-Modell als Basis von Pricing-Rollen für die Produkt-Palette eines Baumarktes

Das im folgenden beschriebene Projekt für eine deutsche Baumarkt-Kette liegt einige Jahre zurück, hat sich aber als ein sehr wirksamer Ansatz erwiesen. Ausgangspunkt war unser LSDC-Modell, demzufolge Kunden je nach Situation eher auf Discount Pricing, auf Smart Pricing, auf Convenience Pricing oder auf Luxury Pricing reagieren. Dieses Modell haben wir dahingehend angewandt, dass wir alle 50.000 Produkte des Baumarkt-Sortiments einem dieser vier Felder zugeordnet haben. Im Artikelstamm wurde also ein zusätzliches Pflicht-Merkmal verankert.

Dadurch wurde es möglich, für jeden Sortimentsbereich auszuwerten,

  • wie sich die Produkte auf diese vier Felder verteilen
  • wie die betriebswirtschaftlichen Eckdaten für diese vier Felder aussehen (Stückzahlen, Durchschnittspreise pro Warengruppe, Produktvarianten bzw. Sortimentstiefe, Lieferfähigkeit, Lagerumschlag, Abwicklungskosten, resultierende Deckungsbeiträge).

Differenzierte Vorgaben und Steuerungsgrößen für die LSDC-Kategorien

Es liegt auf der Hand, dass sich die betriebswirtschaftlichen Steuerungs-Grössen für jedes dieser Felder deutlich unterscheiden:

  • Im Discount-Bereich kommt es auf eine hohe Lagerumschlags-Geschwindigkeit, gute Lieferfähigkeit, relativ geringe Deckungsbeiträge, untere Preisklassen und hohe Stückzahlen an
  • Im Smart-Bereich gehören hohe Stückzahlen auch zur Vorgabe, aber ebenso verkaufsfördernde Rabatte und zeitlich begrenzte Sonderaktionen
  • Im Convenience-Bereich erwarten wir deutlich höhere Deckungsbeiträge, aber auch eine höhere Sortiments-Komplexität
  • Im Luxus- oder Innovations-Segment werden die Kalkulation wie auch die angestrebten Preisklassen am höchsten sein; Produkte mit Alleinstellungen sollten hier dominieren.

Inzwischen verwenden wir in Pricing-Projekten ein weiter ausdifferenziertes Modell, um für das strategische Pricing genauere Vorgaben machen zu können. In diesem Rollenmodell unterscheiden wir je nach Branche und Geschäftsmodell folgende Kategorien für preisstrategische Rollen der Produkte:

1. Pricing für Basic Items / Commodities

Bei diesen Produkten handelt es sich eher um Standard-Produkte und weitgehend austauschbare Commodities, die eher unter preislichem Druck stehen. Für ein vollständiges Produkt-Programm sind sie aber unverzichtbar. Im Pricing sind sie durch niedrige Preise, knappe Kalkulationen und ein begrenztes Produkt-Portfolio gekennzeichnet.

2. Pricing für NOS (Never out of Stock) Produkte

Sehr nah an den Basic Items sind die NOS-Produkte. Diese Kategorie findet sich vor allem im Bereich Fashion/Textilhandel, wo eine gute Lieferbereitschaft und Verfügbarkeit gerade bei den sog. „Rennern“ der Saison große Probleme bereiten kann. Die Kategorie der NOS-Produkte soll dafür sorgen, dass für einen Teil des Sortiments genauere Forecasts erstellt, ggf. Lieferkontingente vereinbart und Mindestbestände definiert werden. Für das Pricing bedeutet es, dass hier zumindest eine recht auskömmliche Ertragssituation – bei schlanken Prozessen – angestrebt werden sollte.

3. Pricing für Recommended Items

Diese Kategorie bildet den Kern der Produkt-Palette. Der Außendienst sollte darauf geschult sein, sie besonders zu empfehlen. Hier sollten ggf. spezielle Anreize für den Vertrieb gesetzt werden. Im Stationär-Handel sollten diese Produkte besonders herausgestellt werden. Sie bilden den wichtigsten Baustein des geplanten Umsatzwachstums.

4. Pricing für die Extended Product Line

Diese Produkte sind Ergänzungen für spezielle Anwendungen, die nicht so offensiv in den Markt getragen werden. Hier sind die preisstrategischen Potentiale größer als bei den Recommended Items.

5. Pricing für Market Introduction Products

Bei den gerade in der Markteinführung befindlichen Produktinnovationen gibt es zwei gegensätzliche preisstrategische Optionen: niedrige Preise zum schnellen Aufbau von Marktanteilen, oder hohe Preise zur Abschöpfung von Erträgen. Wichtig ist es, diese Produkte für einen definierten Zeitraum separat zu erfassen, um auch differenzierte Zielvorgaben (z.B. hohes Wachstum) erfassen zu können.

6. Pricing für USP Products (ggf. auch patentierte Produkte)

Eine strategisch sehr wichtige Kategorie sind die Produkte, die einen tatsächlichen USP und eine Alleinstellung besitzen, weil sie z.B. auf Patenten basieren oder insgesamt eine wichtige und im Markt anerkannte Innovation darstellen.

Im Vorfeld wird es bei dieser Kategorie sicherlich interne Diskussionen geben: hat dieses Produkt wirklich eine Alleinstellung? Vermutlich wird man die beste Antwort auf diese Frage von den Stammkunden eines Unternehmens bekommen. Gehört ein Produkt in diese Kategorie, dann sind ein dauerhaftes Umsatzwachstum bei gleichzeitig sehr hohen Margen die logische preisstrategische Zielvorgabe.

7. Pricing für Hidden Products

Gerade bei sehr komplexen Produkt-Programmen gibt es Produkte, die bei einigen Kunden bereits sehr lange im Einsatz sind. Sie sollen nicht mehr aktiv verkauft bzw. angeboten werden, insofern tauchen sie in offiziellen Preislisten oder Produktübersichten gar nicht mehr auf. In der Planung geht man eher von rückläufigen Mengen aus; die Preise werden in der Regel aber überdurchschnittlich angehoben. Hier haben wir bisweilen die Erfahrung gemacht, dass manche Kunden überhaupt nicht bereit sind, zu einem anderen Produkt zu wechseln, auch wenn die Preise regelmäßig angehoben werden. Offensichtlich gibt es hier entweder beachtliche Wechselkosten beim Kunden oder aber eine gewisse organisationale Trägheit.

8. Pricing für Limited Editions

Nicht in allen Branchen sind Limited Editions üblich. Wir finden sie im Bereich von Automobilen, Luxus-Uhren, Handtaschen, aber auch bei Konsumgütern wie Wodka, Keksen oder Schokolade. Nicht immer sollen bei den Limited Editions höhere Preise durchgesetzt werden; bisweilen kommt es vor allem auf die öffentliche Aufmerksamkeit an. Sie in einer separaten Kategorie zu erfassen, ist sinnvoll, um deren Beitrag zu Umsatz und Ergebnis separat bewerten zu können.

9. Pricing für Final Editions

Manche Produkte entsprechen nicht mehr dem Stand der Technik. Sie sind wegen ihrer Eigenschaften nicht mehr wettbewerbsfähig, sie basieren vielleicht auf einer Technologie „von gestern“. Deshalb werden sie in einem überschaubaren Zeitraum auslaufen. Man wird dann entscheiden müssen, ob Sonderpreise helfen, den Absatz anzukurbeln und die Bestände abzuverkaufen. Unserer Erfahrung nach führen Preissenkungen eher nicht dazu, dass die abgesetzten Mengen steigen. Wer an den Final Editions wirklich interessiert ist, der ist im Zweifelsfall wenig preissensitiv. Hier gibt es u.a. bei Porsche interessante Beispiele für Final Editions.

10. Pricing für SMUs (Special Make Ups)

Wenn (Marken-) Produkte offline als auch online angeboten werden, ist gerade bei den Bestsellern zu erwarten, dass sie online zu aggressiv kalkulierten Preisen angeboten werden. Manche Händler nutzen die Chance, mit sehr schlanken Abwicklungsprozessen und knappen Kalkulationen in Preissuchmaschinen mit diesen Produkten auf den vorderen Plätzen zu landen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass niemand mehr zum „Normalpreis“ kauft, sondern nur noch die 30 % unter UVP angebotene Online-Version.

Hier versuchen manche Hersteller sehr erfolgreich, eine künstliche Produkt-Differenzierung zu schaffen, indem für die führenden Händler sog. SMUs (Special Make Ups) geschaffen werden. Das bedeutet, dass Produkte nur sehr geringfügig geändert werden, ggf. eine neue Verpackung erhalten, vor allem aber unter einer anderen Produkt-Nummer angeboten werden. Damit wird die Vergleichbarkeit erschwert, und die Produkte lassen sich schwerer in Online-Preisvergleichs-Portalen finden.

11. Pricing für Longtail Products

Die sehr selten abgesetzten Longtail-Produkte werden unseren empirischen Studien zufolge oftmals mit derselben Preisstrategie angeboten. Aus unserer Erfahrung heraus macht das wenig Sinn: wer erfolgreich ein Nischenprodukt gefunden hat, der hat dann in der Regel auch ein großes Interesse daran, dieses Produkt zu kaufen, auch wenn es deutlich teurer als üblich ist.

Mit anderen Worten: für die Kategorie der Longtail-Produkte bietet sich eine ausgesprochene Hochpreis-Strategie an. In vielen unserer Pricing-Projekte haben die Unternehmen hier Preis-Erhöhungen von bis zu 30 % realisiert, ohne dass es zu einem Mengenrückgang kam.

12. Pricing für Customized Products

In manchen Branchen ist es technisch möglich und auch üblich, die angebotenen Produkte an die individuellen Kundenwünsche anzupassen. Automobilhersteller wie Bentley oder Porsche haben dafür eigene Bereiche eingerichtet, die sich auf diese Prozesse spezialisiert haben. Dass sich hier eine Hochpreis-Strategie für diese Kunden-Sonderwünsche anbietet, liegt auf der Hand. So gibt es bei Bentley besondere Lackierungen, die mit 26.000 € in der Aufpreisliste stehen.

Andererseits gibt es auch Kunden, die darauf bestehen, dass (insbesondere technische) Produkte auf ihre besonderen Wünsche zugeschnitten werden. Bei einem Nutzfahrzeug-Hersteller konnten wir im Rahmen unserer Projekte feststellen, dass sehr viele Sonderlösungen für Kunden zu einer hohen Komplexität und Varianten-Vielfalt führten. Das kann durchaus wünschenswert sein. Wenn diese Sonderwünsche jedoch unterproportionale Deckungsbeiträge erwirtschaften oder vielleicht sogar zu einem negativen Ergebnis führen, dann gehört das Pricing auf den Prüfstand.

13. Pricing für Validated Products

Gerade im Bereich chemisch-pharmazeutischer Produkte kommt es vor, dass Produkte eines Zulieferers in einem Produktionsprozess eingesetzt werden, der im Rahmen des Qualitäts-Managements validiert worden ist. Das bedeutet, dass diese Produkte nur mit größerem Aufwand subsituiert werden können; es ist eine Abgängigkeit bis hin zu einem Quasi-Monopol oder ggf. Duopol entstanden, wenn zwei Lieferanten sich die Volumina teilen.

Das kann zu der Idee führen, dieses Monopol mit einer Hochpreis-Strategie auszunutzen. Das mag oftmals durchaus funktionieren, wenn die Strategie maßvoll umgesetzt wird. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Kunden sich verärgert nach alternativen Lieferquellen umsehen. Letztlich gehen die hier erzielten Gewinne zu Lasten der langfristigen Kunden-Beziehung – wir sprechen dann von sog. „schlechten Gewinnen“.

Ein erstes Fazit: was bringen Rollen-Modelle im Pricing?

Bisher werden unserer Einschätzung nach derartige Rollenzuweisungen im Pricing in der Praxis noch sehr selten vorgenommen. Sowohl in einem Baumarkt-Konzern als auch in einem Biotech-Unternehmen wurde ein solches Vorgehen eingeführt: jedem einzelnen Produkt wird in den Produkt-Stammdaten eine eindeutige Rolle zugewiesen. Dadurch wird es möglich,

  • diese Rollen in der Planung für alle strategischen Geschäftsbereiche zu berücksichtigen
  • differenzierte Mengen- und Ergebnis-Vorgaben für diese Rollen zu definieren
  • diese Rollen für die Steuerung des Geschäftes zu verwenden
  • entsprechende Ergebnisauswertungen vorzunehmen.

Ein konsequent strategisches Pricing ist auf eine solche rollenbezogene Differenzierung angewiesen, zumindest wenn das Produktprogramm eine gewisse Komplexität aufweist.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – und vielleicht sehen wir uns ja demnächst in Hamburg in einem meiner Pricing-Seminare?

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

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Nächster Termin in Hamburg: 30.09./01.10.2021

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