Pricing-Newsletter No. 40 (2020): Das LSDC-Modell: Pricing für Convenience Shopper

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

diejenigen unter Ihnen, die unseren Pricing-Newsletter regelmäßig und seit längerem lesen, kennen ja bereits das LSDC-Modell des Pricing mit den vier Typologien. Ausführlich haben wir bereits über das Luxury Pricing, das Smart Pricing und das Discount Pricing berichtet. Heute wollen wir uns dem letzten Typus zuwenden, nämlich dem sogenannten Convenience Pricing.

Bei der Lektüre wünsche ich Ihnen viel Spaß

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Nach dem Luxury Pricing, dem Smart Pricing und dem Discount Pricing wenden wir uns heute dem letzten Typus unserer LSDC-Matrix zu, dem Convenience Pricing. Welche Preisstrategien sind hier sinnvoll? Dabei werfen wir auch einen Blick in den B2B-Bereich.

Situationsgerechtes Pricing mit dem LSDC-Modell

Rufen wir uns zunächst kurz die Kernidee des LSDC-Modells in Erinnerung: wir unterscheiden das Pricing danach, ob in bestimmten Situationen der Preis im Rahmen der Kauf-Entscheidung eine besonders hohe Relevanz hat oder nicht. Und wir unterscheiden die Situation danach, ob die Kunden extrem klar definierte Anforderungen und einen spezifischen, ggf. auch sich wiederholenden und standardisierten Bedarf haben, oder ob es gilt, eher einmaligen, vielleicht auch spontan entstandenen Wünschen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Daraus ergibt sich die folgende Matrix.

Convenience Shopper

Wenden wir uns nun dem Convenience Shopper und den damit verbundenen Pricing-Strategien zu. Ihnen ist eines gemeinsam: hier werden die Preise eher am mittleren und oberen Ende der Skala angesiedelt sein.

Das Pricing für den Convenience Shopper

Versetzen Sie sich selbst einmal in die Lage, wenn Sie als Kunde es beispielsweise besonders eilig haben, wenn Sie keine Zeit haben, einen Umweg zu machen, wenn Sie etwas dringend benötigen: achten Sie dann besonders auf den Preis? Etwa wenn Sie auf der Autobahn kurz vor Mitternacht tanken müssen: suchen Sie dann nach der nächstgelegenen preisgünstigen markenfreien Tankstelle?
Vermutlich waren Sie in einer solchen Sitaution ein Convenience Shopper, also jemand, der für die Bequemlichkeit etwas tiefer in die Tasche greift.

Ein anderes Beispiel: mein Firmenwagen war in der Tiefgarage „touchiert“ worden. Dankenswerter Weise hatte der Nachbar einen Zettel hinterlassen, also war es ein Versicherungsschaden. Die Lackierung habe ich in der Marken-Werkstatt im Rahmen der Inspektion – und nicht in einer freien Werkstatt – machen lassen. Ich war erstaunt, welche Preise die deutschen Premium-Hersteller hier aufrufen. Für mich grenzt es schon an ein unfaires Pricing. Ich hatte seinerzeit sogar die gegnerische Versicherung angerufen und nachgefragt, ob man gemeinsam eine Möglichkeit suchen sollte, das Nachlackieren einer Stoßstange für weniger als für 2.500 € umzusetzen. Der Sachbearbeiter der Versicherung hatte aber offensichtlich wichtigere Themen auf seiner Agenda. Convenience stand im Mittelpunkt des Pricing …

Es gibt also Situationen, wo wir dem Preis nicht die oberste Priorität geben, sondern der Schnelligkeit, Bequemlichkeit, Sicherheit oder Zuverlässigkeit der Abwicklung. Und gerade wenn andere die Kosten tragen, sind wir mit Convenience Pricing eher einverstanden.

Gibt es typische Convenience-Produkte?

Man sollte in Bezug auf die Kategorisierungen im Pricing vorsichtig sein und nicht allzu stark vereinfachen. Gleichwohl gibt es Produkt-Kategorien, in denen das Convenience Pricing eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzt. Man denke etwa an Ersatzteile. Sie werden selten benötigt, und man ist in der Regel froh, wenn sie überhaupt einigermaßen schnell verfügbar sind.

Verfügbarkeit ist in der Tat ein wichtiges Kriterium. Denken Sie an den ersten frischen Spargel in der Saison, an das Eis für die quengelnden Kinder beim Zoo-Besuch oder an das letzte verfügbare Flugticket für den nächsten Arbeitstag in München.

Gibt es Geschäfts-Konzepte und Retailer, die sich auf das Convenience Shopping konzentrieren?

Wir haben festgestellt, dass viele Unternehmen mehrere Quadranten der LSDC-Matrix bedienen. Es scheint sogar ein Erfolgsrezept zu sein, möglichst mehrere Felder zu bedienen, auch wenn man wie etwa Aldi oder Lidl zunächst im Discount-Segment gestartet ist. Sehen Sie sich einmal deren Palette der teuren Rotweine an. Hier werden Preisklassen bedient, die jenseits der klassischen Discount-Kategorien liegen.

Trotzdem finden wir auch Geschäfts-Modelle und Betriebsformen, die sehr stark allein auf das Convenience Segment setzen. Die Firma Lekkerland bezeichnet sich sogar als „The Convenience Company“. Wir zählen hierzu auch Tankstellen-Shops (man kann Rotwein woanders auch günstiger einkaufen), aber auch „Rewe to go“ oder „Das Kochhaus“ setzen auf Convenience Pricing. Im Kochhaus können gestresste Manager nach dem Bürotag auf die Schnelle alle Zutaten für ein leckeres Menu einkaufen, weil sie menu-bezogen zusammen gestellt sind: die erforderlichen Gewürze, die frischen Kräuter und der passende Wein eingeschlossen. Beim Discounter könnte man so etwas günstiger einkaufen.

Andere Beispiele, wie Convenience Shopper bedient werden, finden sich im E-Commerce. Denken Sie an Amazon Dash, den Stick, der selbsttätig bei Amazon nachordert, wenn bestimmte Vorräte zur Neige gehen.

Wir waren vor vielen Jahren auch über die intensive Nutzung des damals sehr innovativen 24-Stunden-Lieferservice überrascht, die im Otto-Konzern (aufpreispflichtig!) eingeführt wurde. Bequemlichkeit ist vielen Kunden einen Aufpreis wert.

Convenience Pricing im B2B-Bereich

Wie in den meisten Pricing-Newslettern möchte ich auch bei diesem Thema einen Blick auf den B2B-Bereich werfen. Gibt es dort auch Convenience Pricing, oder sind es nur wir Konsumenten, die für Bequemlichkeit mehr zahlen und somit als Convenience Shopper agieren?

In unseren Pricing-Projekten stellen wir oftmals fest, dass es Unternehmen gar nicht bewusst ist, dass Kunden für extrem kurze Lieferzeiten oder für die Reparatur einer ausgefallenen Maschine am Wochenende durchaus eine deutlich höhere Zahlungs-Bereitschaft haben. Man traut sich allenfalls, den Sonntags-Lohnzuschlag der Service-Techniker weiter zu belasten, nicht aber den durch die schnellere Verfügbarkeit einer Produktions-Linie geschaffenen Mehrwert für die Preisfindung zu nutzen.

Convenience Pricing und die Kosten eines Lieferanten-Wechsels

Manchmal wird unterstellt, dass Unternehmen schnell bereit sind, auch bei sehr kleinen Preis-Erhöhungen sofort den Lieferanten zu wechseln, der Preis also das einzige oder zumindest ein extrem wichtiges Kaufargument wäre. Dabei unberücksichtigt bleiben oftmals der Aufwand und das Risiko, die mit einem Lieferanten-Wechsel verbunden sind:

  • Ist das neue Produkt oder Zulieferteil qualitativ wirklich gleichwertig?
  • Ist die Qualität auch dauerhaft gewährleistet?
  • Ist die Handhabung oder Bedienung genau so einfach wie behauptet?
  • Laufen die Bestellprozesse mit den entsprechenden Schnittstellen wirklich fehlerfrei?

Convenience Pricing bei Bestandskunden

In verschiedenen Pricing-Projekten konnten wir feststellen, dass die Preis-Sensitivität bei bestehenden Kunden geringer ist als bei Neukunden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass vorhandene Kunden bei manchen Produktgruppen ein Convenience-Pricing akzeptieren. Die Wechsel-Kosten wie auch die möglichen Risiken stehen in keinem sinnvollen Verhältnis zu den möglichen Einsparungen. Deshalb sollten Unternehmen ziemlich genau wissen, in welchen Bereichen sie für ihre Kunden eine gewisse „Convenience“ schaffen, die sich im Pricing niederschlagen muss.

Wenn es am konsequenten Convenience Pricing mangelt

Wie erkennt man, dass Unternehmen nicht konsequent genug auf das Convenience Pricing setzen? Hier kann eine Vollkosten-Analyse der abgewickelten Aufträge helfen. Insbesondere die nicht in Rechnung gestellten Extra-Arbeiten, Zusatzleistungen und alle Abweichungen vom Prozess-Standard sind es, die die geplante Kalkulation zunichte machen können. Es gibt Analysen, denen zufolge 30 bis 40 % der Aufträge gerade der guten Stammkunden nicht profitabel sind bzw. nicht den erforderlichen Deckungsbeitrag erreichen. Hier wird Convenience nicht in Preis-Prämien übersetzt.

Convenience Pricing: Werden Sonder-Ausführungen richtig bepreist?

Ein ähnlich gelagertes Beispiel stammt aus dem Bereich Nutzfahrzeuge. Dort war es viele Jahre lang gängige Praxis, sehr viele technische Sonderwünsche des Kunden umzusetzen, um auf jeden Fall den Kunden zu binden und ihn nicht an den Wettbewerb zu verlieren. In der Analyse zeigte sich, dass diese Sonder-Ausführungen selten kostendeckend abgerechnet wurden. Der durch die Sonder-Ausführungen beim Kunden erreichte Nutzen stand also in keinem sinnvollen Verhältnis zum erzielten Preis. Bequemlichkeit wurde nicht bezahlt – oder nicht mit einem angemessenen Preis-Aufschlag versehen.

Das Convenience Pricing Paradox: es ist unbequem, die Bequemlichkeit mit einem Preisschild zu versehen

Man könnte, um es abschließend auf den Punkt zu bringen, von einem Paradox des Convenience Pricing sprechen. Es ist für das eigene Team eher unbequem, die Bequemlichkeit der angebotenen Leistungen für die Kunden konsequent in höhere Preise zu übersetzen. Aber es schafft letztlich die Ertrags-Spielräume, um neue Kunden zu gewinnen oder um über das Discount Segment eine Grundauslastung der Organisation zu gewährleisten.

Der nächste Pricing-Newsletter: Sollte man sein Preis-System vereinfachen?

Abschließend wieder der Hinweis auf das Thema des nächsten Pricing-Newsletters: wir werden uns der Frage zuwenden, ob Sie Ihr Preis-System vereinfachen sollten. Die Komplexität des Preis-Systems entsteht manchmal im Laufe der Jahre mehr oder weniger ungesteuert und wird dann schwer beherrschbar. Aber es geht auch anders, wie wir sehen werden.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – und vielleicht sehen wir uns ja bei unserem letzten Pricing-Seminar in diesem Jahr in Hamburg. Der Termin ist der 3. und 4. Dezember 2020.

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Nehmen Sie an unserem Pricing-Seminar teil!

Letzter Termin in Hamburg dieses Jahr: 03./04. Dezember 2020

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