Pricing-Newsletter No. 56 (2022): Wie lassen sich vertikale Preisstrategien im mehrstufigen Vertrieb durchsetzen?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in unseren Pricing-Seminaren und Pricing-Projekten werden wir immer wieder mit der Frage konfrontiert, wie sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen lässt. Das ist eine hoch spannende Frage und nichts für Anfänger. Dieses Thema ist deshalb einen eigenen Pricing-Newsletter wert.

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Wie lässt sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen? Wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebs-System an die meistens ungeschriebenen Spielregeln? Erfahren Sie in diesem Newsletter das Wichtigste über Bedeutung, Nutzen und Umsetzung von vertikalen Preisstrategien.

Die Bedeutung vertikaler Preisstrategien

Zunächst einmal: in welchen Branchen und bei welchen Geschäftsmodellen stoßen wir auf mehrstufige Vertriebsmodelle, bei denen eine vertikale Preisstrategie relevant ist? Denken Sie an Hersteller von Fußboden-Belägen, von Elektro-Werkzeugen für den Profi-Handwerker, von Bad-Armaturen, von Fenstern und Türen: Viele Unternehmen vertreiben ihr Produkt-Programm über den Großhandel an den Fachhandel, der für Montage, Einbau oder Verlegung bei Endkunden wiederum Handwerker einschaltet, und erst der Handwerker schreibt die Rechnung an den Endverbraucher.

Vertikale Preisstrategie

Mehrstufige Vertriebsmodelle mit vertikaler Preisstrategie: Vom Hersteller über den Fachhandel über den Handwerker bis zum Endverbraucher. Foto: Ksenia Chernaya/Pexels

Alle Vertriebsstufen benötigen naheliegender Weise eine Marge am Produkt, und sie sollen idealerweise das jeweilige Produkt mit der „richtigen“ Strategie und dem „richtigen“ Preis vermarkten. Doch wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebssystem an die meistens ungeschriebenen Spielregeln?

Problem No. 1: Preisbindung für Markenartikel war gestern

Schon 1974 wurde die vertikale Preisbindung für Markenartikel abgeschafft und durch die unverbindliche Preis-Empfehlung ersetzt. Diese unverbindliche Preis-Empfehlung (UVP) spielt allerdings in vielen Bereichen weiterhin eine nicht ganz unwichtige Rolle, gibt sie doch eine allgemeine Orientierung, welche Preis-Positionierung ein Hersteller auf der Verbraucher-Ebene anstrebt. Nur: eine Preis-Bindung gibt es (aus guten Gründen) nicht mehr.

Was wir übrigens in einer kleinen empirischen Studie für einen Hersteller von Labor-Ausrüstungen herausgefunden haben: ein Teil der Händler hält sich im eigenen Online-Shop an die empfohlenen Preise des Herstellers, ein weiterer Teil liegt (wie erwartet) darunter. Womit wir nicht gerechnet hatten: ein beachtlicher Teil der Händler weist online Preise aus, die teilweise deutlich über dem Hersteller-UVP liegen.

Problem No. 2: Graue Märkte überall

Wir kennen als Verbraucher die EU-Reimporte von PKW: dort lassen sich Neuwagen teilweise mit erheblichen Preis-Nachlässen im Vergleich zum Listenpreis der Hersteller erwerben. Es ist einfach attraktiv für grenznahe Autohändler, die u.a. durch unterschiedliche Steuersätze bedingten international unterschiedlichen Werksabgabe-Preise auszunutzen und Automobile zu attraktiven Konditionen ins Nachbarland zu verkaufen. Graue Märkte gibt es naheliegender Weise nicht nur bei Automobilen.

Wie lässt sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen? Wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebs-System an die meistens ungeschriebenen Spielregeln? Erfahren Sie in diesem Newsletter das Wichtigste über Bedeutung, Nutzen und Umsetzung von vertikalen Preisstrategien.

Graue Märkte: Über EU-Reimporte werden PKW teilweise mit erheblichen Preisnachlässen im Vergleich zum Listenpreis verkauft. Foto: Torsten Detlaff/Pexels

Auch manche Tochter-Gesellschaft zieht es vor, Produkte nicht aus dem Hauptwerk des Konzerns zu beziehen, das vielleicht in einem Hochlohn-Land liegt, sondern mit den Kollegen einer benachbarten Tochter-Gesellschaft direkte Liefer-Beziehungen aufzunehmen, wenn dessen Produktion gerade nicht ausgelastet ist – auch wenn dies der Konzern-Strategie und den angestrebten internen Verrechnungs-Preisen widerspricht.

Problem No. 3: Aggressives Pricing im Online Handel

Ein weiterer Problem-Bereich für die Durchsetzung vertikaler Preisstrategien ist darin zu sehen, dass es heute extrem einfach geworden ist, Sortimente mit aggressiven Preisstrategien online anzubieten – natürlich gerne auch grenzüberschreitend. Mancher Großhändler sieht hier die Chance, am Fachhandel und ggf. auch am Handwerk vorbei Produkte direkt an den Endverbraucher zu verkaufen.

Und wenn man für die Montage bzw. Verarbeitung der technischen Produkte durch den lokalen Handwerker Alternativen sucht, dann gibt es inzwischen Portale, auf denen sich entsprechende Dienstleister buchen lassen. Tatkräftige Nachbarschaftshilfe ist natürlich eine weitere Option.

Wie lässt sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen? Wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebs-System an die meistens ungeschriebenen Spielregeln? Erfahren Sie in diesem Newsletter das Wichtigste über Bedeutung, Nutzen und Umsetzung von vertikalen Preisstrategien.

Handwerker-Leistungen lassen sich auf entsprechenden Portalen buchen. Foto: Ksenia Chernaya/Pexels

Problem No. 4: Preis-Suchmaschinen erhöhen die Preis-Transparenz

Mit dem Entstehen der Online-Plattformen einher geht die Erhöhung der Preis-Transparenz, die durch die Preis-Suchmaschinen ermöglicht wird. Das begünstigt alle Marktteilnehmer, die ihr Leistungs- und Serviceangebot reduzieren und die mit geringeren Margen und günstigen Preisen Marktanteile gewinnen können.

Wie lässt sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen? Wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebs-System an die meistens ungeschriebenen Spielregeln? Erfahren Sie in diesem Newsletter das Wichtigste über Bedeutung, Nutzen und Umsetzung von vertikalen Preisstrategien.

Preis-Suchmaschinen wie billiger.de, check24 und andere erhöhen die Preis-Transparenz

Vertikale Preisstrategien: die Komplexität als Herausforderung

Betrachten wir einmal einen Sportartikel-Hersteller wie adidas: adidas-Schuhe können die Kunden im Stationär-Handel kaufen, etwa

  • im stationären adidas Flagship Store
  • im stationären Sportfachhandel wie etwa bei SportScheck, Intersport, KarstadtSport
  • im adidas Outlet Store.

Online konkurrieren miteinander

  • der adidas Online Shop (adidas fährt hier eine D2C-Strategie)
  • die Online Shops der oben genannten Sportfachhändler
  • reine Online Händler wie Amazon, Otto, AboutYou oder Zalando.

adidas setzt auf eine D2C-Strategie

Diese Komplexität der Kanäle zu steuern, ist in der Tat eine besondere Herausforderung. Die strategische Antwort von adidas lautet übrigens: man wird in den kommenden Jahren den eigenen Webshop im Sinne einer D2C-Strategie (Direct to Consumer) ausbauen. Das Wachstumsziel für die kommenden 5 Jahre: 1,5 Mrd. € zusätzlicher Umsatz allein auf diesem Kanal. Und ein direkter Kontakt zu 500 Millionen Endkunden per App. Das ist eine klare strategische Ansage.

Vertikale Preisstrategien: Auf der Suche nach Lösungen

Welche Aufgaben ergeben sich für Hersteller angesichts dieser Probleme im vertikalen Pricing?

  • Zunächst wollen Hersteller möglichst verhindern, dass die eigenen Produkte mit einem qualitativ eher schlechten Endkunden-Service, dafür aber zu extrem günstigen Preisen in den Markt gebracht werden.
  • Damit verbunden ist der Wunsch, dass die einzelnen Handels- bzw. Vertriebsstufen ein ihrer Leistung angemessenes Entgelt im Sinne einer entsprechenden Marge realisieren können.
  • Das bedeutet auch, dass man die „schwarzen Schafe“ eher sanktionieren möchte.

Um hier in einem teilweise sehr komplexen Vertriebssystem etwas zu verändern, bedarf es einer konsequent strategischen Vorgehensweise, die mit Hilfe von Pricing-Roadmaps (siehe Pricing-Newsletter No. 52 (2021): Woran erkennt man den Handlungsbedarf im Pricing?) in die Organisation getragen wird und deren Erfolg mit Pricing-Scorecards (siehe Pricing-Newsletter No. 45 (2021): Wann macht das Controlling endlich seine Hausaufgaben im Preis-Controlling?) gemessen wird. Dass ein solcher Ansatz konsequent umgesetzt wird, dafür trägt die Unternehmens-Leitung die Verantwortung. Sie muss für den notwendigen Nachdruck und die entsprechende Dringlichkeit sorgen (siehe Pricing-Newsletter No. 44 (2021): Dringlichkeit im Pricing – die Umsetzung zur Chefsache machen!).

Vertikale Preis-Strategie No. 1: Pay for Performance

In vielen Fällen scheitern unserer Erfahrung nach vertikale Preisstrategien schon daran, dass die Erwartungen an die einzelnen Vertriebsstufen hinsichtlich der Marketing-Unterstützung wie auch der vertrieblichen Präsentation beim Kunden überhaupt nicht klar definiert sind. Hier fehlen oftmals klare Marketing-Bausteine für die einzelnen Handelsstufen.

Wenn mit den Vertriebspartnern Leistungs-Pakete geschnürt werden, können diese unterstützenden Vermarktungs-Leistungen vergütet werden und zu einem WKZ (Werbekosten-Zuschuss) oder zu zusätzlichen Rabatten führen: „pay for performance“ also.

Unabdingbare Voraussetzung für ein solches preisstrategisches Vorgehen ist die konsequente Bewertung und Zuordnung der Vertriebspartner im Rahmen eines Klassifikations-Systems sowie die konsequente Umsetzung von Zielvereinbarungen. Ferner hilft eine einheitliche internationale Brutto-Preisliste für den jeweiligen Markt, zum Beispiel für Europa.

Vertikale Preis-Strategie No. 2: Verzicht auf Quick Deals

Es gibt ja durchaus (börsengetriebene) Hersteller, in denen ein erheblicher Druck besteht, Quartals-Ziele zu erreichen. Wenn diese Ziele gefährdet sind, dann kann es für den Vorstand eine schnelle Lösung sein, in einem Quick Deal mit einem Großhändler oder einer großen filialisierten Einzelhandels-Kette die Ziel-Erreichung sicher zu stellen. Das ist natürlich mit Preis-Zugeständnissen verbunden, die das übliche Preis-Gefüge eher durcheinanderbringen.

Gut strukturierte vertikale Preisstrategien sind mit einem hohen kurzfristigen Marktanteils-Druck und derartigen Quick Deals nicht vereinbar.

Vertikale Preis-Strategie No. 3: Strategisch gesteuerte Vermarktung von Neuheiten

In der Regel erhalten Produkt-Neuheiten sowohl beim Endkunden als auch bei den Vertriebs-Partnern eine hohe Aufmerksamkeit. Marketing-Budgets werden auf die Innovationen konzentriert, die (Fach-) Presse berichtet darüber. Deshalb können Hersteller diese Neuheiten nutzen, um die Markteinführung zunächst sehr selektiv mit ihren strategischen Vertriebs-Partnern voranzutreiben.

Nicht jeder mehr oder weniger unbedeutende Vertriebspartner muss in diesen strategisch relevanten Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Die professionelle Vertriebs-Unterstützung in der Vergangenheit wird hier zum Kriterium für die Auswahl einer Speersitze in der Innovations-Vermarktung.

Vertikale Preis-Strategie No. 4: Reduktion der Austauschbarkeit und Vergleichbarkeit

Gerade der Online-Handel profitiert davon, dass Markenartikel – mit Hilfe des EAN-Codes – online leicht vergleichbar sind. Hier haben wir sowohl mit Herstellern als auch mit Händlern Strategien entwickelt, um die Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit von Produkten systematisch zu reduzieren.

Das lässt sich realisieren, indem für bestimmte (filialisierte) Händler entsprechender Größe sog. SMUs (Special Makeup) erstellt werden. Das sind händler-spezifische Produkte oder Kollektionen mit eher geringfügigen Änderungen, aber einer eigenen Produkt-Nummer. Damit wird die (Preis-) Vergleichbarkeit zumindest reduziert.

In eine ähnliche Richtung zielen Special Editions von Produkten, die nur bestimmten Händlern im Rahmen des vertikalen Vertriebssystems angeboten werden.

Eine kleine Anmerkung an dieser Stelle: wenn Hersteller wissen wollen, wie bestimmte Mengen über graue Kanäle oder strategisch nicht geplante Vertriebswege in den Markt gelangen, dann sollten sie über eine Chargen-Kennzeichnung ihrer Produkte nachdenken.

Vertikale Preis-Strategie No. 5: Eine D2C-Strategie umsetzen

Eine hoch spannende und sehr aktuelle strategische Option ist die Umsetzung einer D2C-Strategie für Hersteller: unter Umgehung der bisherigen Vertriebspartner können Hersteller ihre Produkte online direkt an Endverbraucher verkaufen. Logistische Fulfillment-Lösungen lassen sich inzwischen problemlos organisieren. So lassen sich Stihl-Werkzeuge und Kärcher-Reiniger direkt ab Werk bestellen. Der Vorteil liegt auf der Hand: der Hersteller bestimmt das Pricing für den Endverbraucher selbst – das hat auch disziplinierenden Charakter für die Handelsstufen.

Wie lässt sich die Preisstrategie des eigenen Unternehmens über mehrere Vertriebs-Stufen hinweg durchsetzen? Wie konsequent halten sich die „Partner“ in einem vertikalen Vertriebs-System an die meistens ungeschriebenen Spielregeln? Erfahren Sie in diesem Newsletter das Wichtigste über Bedeutung, Nutzen und Umsetzung von vertikalen Preisstrategien.

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Vertikale Preis-Strategien: ein vorsichtiges Fazit

Die strategischen Pricing-Herausforderungen in einem mehrstufigen Vertriebs-System sind nicht ganz leicht zu bewältigen. Unternehmens-interne Konflikte spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle:

  • Sind die mengenbezogenen Quartals-Ziele wichtiger als die langfristig angelegte Pay for Performance Strategie gegenüber den Vertriebspartnern?
  • Ist der Vertriebschef einverstanden, dass bestimmte Handelspartner „diskriminiert“ werden, wenn sie die gemeinsame Vertriebsstrategie nicht konsequent umsetzen?
  • Ist das unternehmens-interne Incentive-System darauf ausgerichtet, die Durchsetzung der Marketing- und auch der Preisstrategie entsprechend zu priorisieren, oder zählt allein der Umsatz?

Angesichts der geschilderten Herausforderungen werden Unternehmen nicht umhinkommen, sich konsequenter als bisher der Entwicklung und Umsetzung einer vertikalen Preisstrategie in Zusammenarbeit mit ihren Vertriebspartnern zuzuwenden. Dabei wird es darauf ankommen, die gegenseitigen Erwartungen zu klären und ein pay for performance Prinzip zu realisieren.

Der nächste Pricing-Newsletter: Value Pricing

Das nächste Mal wird es um Value Pricing gehen – und wie man mit Customer Workshops zu interessanten Erkenntnissen über die Werttreiber eines Produktes oder einer Dienstleistung kommt.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – vielleicht sehen wir uns ja demnächst in Hamburg in einem meiner Pricing-Seminare?

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

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