Pricing-Newsletter No. 54 (2021): Wie funktioniert regionale Preisdifferenzierung in der Praxis?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

uns Verbrauchern ist eine regionale Preisdifferenzierung in vielen Fällen gar nicht bewusst. Wir gehen davon aus, dass der BigMac überall das gleiche kostet und dass die Croissants in Hamburg-Eppendorf und in Hamburg-Bramfeld den gleichen Preis haben. Wir übersehen also viele regionale Preisunterschiede, weil wir nicht durch unsere Heimatstadt fahren und nach Preisunterschieden suchen.

Regionale Preis-Differenzierung bei der Drogeriemarkt-Kette dm

Das ist eine interessante und wichtige Beobachtung. Denn die Drogeriemarkt-Kette dm hat vor einiger Zeit angekündigt, dass sie eine filialbezogene und damit regionale Preisdifferenzierung einführen wird. Und auch in anderen Branchen werden Preise systematisch nach regionalen Kriterien differenziert. Wie das in der Praxis gehen kann – und zwar nicht nur im Einzelhandel bzw. B2C-Bereich – ist Thema dieses Pricing-Newsletters.

Viel Spaß bei der Lektüre wünschen Ihnen

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof
und
Leon Julius Reutel

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Regionale Einheitspreise sind in der Regel suboptimal. Zunehmend werden daher in vielen Branchen Preise systematisch nach regionalen Kriterien differenziert. In einer (noch unveröffentlichten) Studie untersuchten wir, wie das in der Praxis gehen kann. Hier verraten wir die ersten Ergebnisse, die durchaus überraschen.

Regionale Einheitspreise sind immer suboptimal

Zunächst einmal muss ich an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, wie wichtig das Thema Preis-Differenzierung im Rahmen einer durchdachten Preisstrategie ist (vgl. hier den Pricing-Newsletter No. 5). Der Einheits-Preis in einem Markt schöpft nur einen kleinen Teil der Erträge ab. Manche Kunden sind bereit, auch einen höheren Preis zu zahlen. Ein niedrigerer Preis würde in anderen Situationen zusätzliche Umsätze und damit Deckungsbeiträge ermöglichen – wenn man denn verhindern kann, dass alle auf den niedrigen Preis einsteigen.

Regionale Abgrenzung von Teilmärkten

Doch da ist eine regionale Preis-Differenzierung ein schönes Abgrenzungs-Kriterium. Oder fahren Sie von Hamburg Eppendorf nach Hamburg Bramfeld, um dort morgens Ihre Croissants etwas billiger zu erstehen? Und was für die Croissants gilt, gilt auch für viele andere Produkte.

Um die neue Waschmaschine in Hamburg anschließen zu lassen, nehme ich keinen Handwerker aus dem Harz. Und das gilt auch für Ihre Bauvorhaben, für viele Vormaterialien in Ihrer Produktion, für Ihren Fuhrpark, für das Entsorgungs-Unternehmen, das Sie beauftragen müssen.

Regionale Preis-Differenzierung in der Unternehmens-Praxis

So weit so gut. Wir wollten etwas genauer wissen, wie Unternehmen die regionale Preis-Differenzierung in der Praxis umsetzen und haben deshalb einen Kreis von an Pricing-Fragen interessierten Führungskräften befragt. Unter anderem auch Sie, die Leser dieses Pricing-Newsletters. Damit hat diese kleine Studie keinen Anspruch auf Repräsentativität, aber sie erlaubt es, erste Einblicke zu gewinnen.

Systematische Erhebungen zum Umfang und zu den Kriterien der regionalen Preisdifferenzierung sind ganz einfach Mangelware. Deshalb sind die Antworten aus dieser kleinen Studie, die Leon Reutel und ich angefertigt haben, durchaus interessant. Im folgenden zitiere ich aus der bisher noch unveröffentlichten Studie – wir arbeiten daran, sie insgesamt noch aufzubereiten.

Wir haben insgesamt 436 Manager aus unterschiedlichen Branchen befragt und 84 auswertbare Fragebögen erhalten. Die Rücklaufquote ist also ganz ordentlich, aber das liegt auch an der Vorauswahl des einbezogenen Personenkreises. Doch nun zu den Ergebnissen.

1. Werden Preise nach regionalen Kriterien differenziert?

Die erste Frage ist natürlich, ob Unternehmen überhaupt auf eine regionale Preisdifferenzierung setzen. Unserer Umfrage zufolge sind es 38 %. Und 19 % der Antwortenden gaben zudem an, dass die regionale Preisdifferenzierung ausgebaut werden soll.

Preisdifferenzierung auch innerhalb von Städten

Eine kleine Frage am Rande: uns interessierte auch die Preisdifferenzierung innerhalb von Städten. 9 % gaben an, auch hier Preise zu differenzieren. Das kommt natürlich nur für bestimmte Branchen und Unternehmenstypen in Frage – und wohl auch nur für größere Städte. Aber wenn Sie sich die Kaufkraft-Unterschiede innerhalb großer Städte vorstellen, dann kann ein Einheitspreis wirklich nur einen Teil der Ertrags-Potentiale erschließen. Und viele filialisierte Unternehmen haben eine große Anzahl an Standorten in den urbanen Zentren.

2. Wie wird die regionale Preisdifferenzierung landesweit umgesetzt?

Um Preise zu differenzieren, benötigt man letztlich Organisations-Einheiten oder auch Prozesse und Abläufe, um dies zu bewerkstelligen. Hier zeigen die Antworten auf unsere diesbezügliche Frage, dass

  • 17,7 % auf Vertriebsregionen setzen (Nord – West – Süd – Ost)
  • ebenfalls 17,7 % kleinere Vertriebsregionen dazu heranziehen
  • 9,8 % auf Bundesländer setzen.

Der Rest verwendet letztlich weitere nicht näher genannte Kriterien. Hier sind Vergleiche natürlich schwierig, denn die Branchenstrukturen sind in der Regel sehr differenziert.

3. Welche Faktoren sind die Basis für die regionalen Preisunterschiede?

Letztlich benötigt man gute Argumente, um regional differenzierte Preise am Markt (und auch in der eigenen Organisation!) durchzusetzen. Deshalb wollten wir wissen, woran die Unternehmen die regionalen Preis-Differenzen festmachen. Hier erhielten wir folgende Antworten:

  • 37 % ziehen die Wettbewerbs-Intensität der Region heran
  • 25 % setzen auf regionale Kaufkraft-Unterschiede
  • 20 % haben regional unterschiedliche Kosten, die sie berücksichtigen
  • 9 % sehen regional differenzierte Wachstums-Potentiale.

4. Wie hoch ist die regionale Preis-Differenzierung?

Für uns ist eine der Kernfragen, welchen Nutzen eine Preisstrategie erwarten lässt – d.h. welche Ergebnis-Verbesserung überhaupt zu erwarten ist. Auf diese Frage haben 27 Personen geantwortet, das sind also fast alle, die auch eine regionale Preis-Differenzierung umsetzen! Hier wollen wir in einer Folge-Erhebung noch einmal tiefer einsteigen. Trotzdem seien die Zahlen an dieser Stelle genannt:

  • 19 % realisieren Preisdifferenzen von mehr als 30 %
  • 26 % sehen Preisdifferenzen zwischen 20 und 29 %
  • 30 % sehen die Preisdifferenzen zwischen 10 und 19 %
  • 26 % sehen die Preisdifferenzen bei unter 10 %.

Erstaunlich hohe regionale Preis-Differenzen

Diese Zahlen haben uns am meisten überrascht: wir wären niemals von so hohen regionalen Preisdifferenzen ausgegangen. Wenn man die Hebelwirkung einer nur 10 %-igen Preiserhöhung auf den Unternehmensgewinn kennt, dann sieht man sehr schnell, welch hohe Ergebnis-Potentiale in diesem Bereich liegen. Aber dabei sollten wir in Rechnung stellen, dass hier eine Folge-Untersuchung mit einer größeren Stichprobe notwendig ist.

5. Regionale Preis-Differenzierung in der Praxis: wie kann man die Komplexität beherrschen?

Zunächst einmal muss ich an dieser Stelle auf unseren Pricing-Newsletter No. 41 verweisen, in dem es um Komplexität im Pricing geht. Die Kernaussage: Komplexität in Richtung Markt ist sinnvoll, um differenzierten Marktchancen und Zahlungs-Bereitschaften der Kunden Rechnung zu tragen.

Viele Unternehmen fürchten sich vor der Komplexität aus einem anderen Grund: sie bekommen die interne Komplexität nicht in den Griff, etwa weil die IT-Systeme, Prozesse, Richtlinien und Abläufe nicht konsequent vereinheitlicht sind. Das ist unbeabsichtigte, gleichwohl aber unerwünschte Komplexität, die es zu vermeiden oder zu reduzieren gilt.

Selektiv vorgehen und Komplexität der Pricing-Prozesse begrenzen

Wie kann man die Komplexität einer regionalen Preis-Differenzierung ganz pragmatisch begrenzen? Im Sinne einer ABC-Analyse des Produkt-Programms ist zu überlegen,

  • ob im ersten Schritt nur die Top Selling Items regional differenziert werden, insbesondere dann, wenn die Online Preis-Transparenz dieser Produkte begrenzt ist
  • ob im zweiten Schritt besonders relevante und nachgefragte Sortimente und Produkte regional differenziert werden. Das kann auch bedeuten, dass das Angebot in besonders kaufkräftigen Regionen von vornherein auf hochwertigere Sortiments-Bereiche ausgerichtet wird
  • ob erst später für das gesamte Produkt-Programm ein regionalisiertes Pricing umgesetzt wird. Gerade für Long Tail Sortimente (siehe Pricing-Newsletter No. 25) stehen Nutzen und Aufwand einer regionalen Differenzierung vermutlich in keiner sinnvollen Relation.

Daneben besteht natürlich auch die Möglichkeit, mit einer einheitlichen (nationalen) Preisliste zu arbeiten und nur über die Rabattstrukturen regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen.

Was bringt Preis-Autonomie der Regional-Verantwortlichen?

Im Übrigen sei der Hinweis gestattet, dass uns immer wieder Unternehmen begegnen, in denen die Preis-Autonomie mehr oder weniger vollständig bei den Regional-Verantwortlichen liegt, die über ihre Preisstrategie keine unmittelbare Rechenschaft ablegen müssen. Das Argument: die regionale Marktkenntnis ist vor Ort am besten.

Das ist kein wirklich zukunftsfähiges Vorgehen, denn es fehlt die bewusste strategische Steuerung sowie die Regionen-übergreifende Analyse der Pricing-Erfolge. Viel zu selten werden die Regional-Manager dazu aufgefordert, ihre preisbezogenen Abweichungen vom Mittelwert strategisch zu begründen und nachvollziehbar zu machen.

6. Welche Fragen wollen wir in einer Folgestudie aufgreifen?

In einer Folgestudie zu diesem Thema werden wir der Frage nachgehen, wie die Unternehmen die Erfolge der regionalen Preis-Differenzierung steuern und messen. Hier bedarf es eines übergreifenden „Standard-Preises“, zu dem regionale Abweichungen geplant und realisiert werden können.

Ferner wollen wir herausfinden, wie sich regionale Preis-Differenzierungen im Pricing des Produkt-Programms niederschlagen: gibt es pauschale regionale Auf-/Abschläge, oder werden regionale Preis-Strategien auf die wichtigsten Categories oder Sortimentsbereiche „übersetzt“?

Lassen Sie uns gerne wissen, wenn es aus Ihrer Sicht weitere Fragestellungen in diesem Kontext gibt, die der empirischen Durchleuchtung bedürfen.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – und vielleicht sehen wir uns ja demnächst in Hamburg in einem meiner Pricing-Seminare?

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof
und
Leon Julius Reutel

 

Nehmen Sie an unserem Pricing-Seminar teil!

Nächster Termin: 03./04. März 2022 in Hamburg

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