Pricing-Newsletter No. 71 (2023): Preisstrategien für IT-Lösungen: kann man von anderen Branchen gar nichts lernen

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im Rahmen eines Vortrags zum Pricing in meiner Heimatstadt Lübeck vor ein paar Wochen wurde ich gefragt, ob meine Überlegungen denn auch für das Pricing von IT-Lösungen zutreffen würden, denn in dieser Branche gelten schließlich vollkommen andere Bedingungen. Das ist ein Phänomen, das mir öfter begegnet: „Bei uns gelten völlig andere Spielregeln, die man mit keiner anderen Situation vergleichen kann.“ Stimmt das wirklich? In diesem Newsletter No. 71 suche ich deshalb nach einigen Gemeinsamkeiten: welche bewährten Pricing-Strategien und Prinzipien aus dem B2B-Bereich lassen sich voraussichtlich auch auf IT-Produkte und -lösungen übertragen?

Viel Spaß bei der folgenden Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

„Bei uns gelten völlig andere Spielregeln, die man mit keiner anderen Situation vergleichen kann.“ Stimmen solche Sätze, die wir in unseren Pricing-Projekten häufig hören? Wir untersuchen hier, welche bewährten Preisstrategien und Prinzipien aus dem B2B-Bereich lassen sich voraussichtlich auch auf IT-Produkte und IT-Lösungen übertragen?

Die Gewinnhebel im IT-Bereich

Eine der fundamentalen Überlegungen des Pricing besteht darin, den Stellenwert des Preises im Vergleich zu den anderen drei Gewinnhebeln (Fixkosten, variable Kosten, Absatzmenge) zu betrachten: in klassischen B2B-Unternehmen hat der Preis die vergleichsweise größte Hebelwirkung auf den Gewinn.

Wenn das einzelne IT-Produkt (die einzelne Lizenz etc.) sehr geringe direkte Herstellkosten verursacht, die Entwicklungskosten jedoch den großen Kostenblock ausmachen, dann hat die abgesetzte Menge an Lizenzen einen viel größeren Hebel auf den Ertrag als beispielsweise bei Handelsprodukten, bei Anlagen und Maschinen oder anderen in Serie hergestellten Produkten mit hohen individuellen Herstellkosten.

Betrachten wir einmal eine vereinfachte Beispielrechnung zu den Gewinnhebeln für IT-Unternehmen (im Bereich Software-Lösungen):

Preisstrategien IT-Lösungen

Preis und abgesetzte Menge als wichtigste Gewinnhebel in IT-Unternehmen.
Grafik: UNICconsult Strategieentwicklung GmbH

Auch hier hat in unserem Beispiel der Preis die höchste Hebelwirkung auf den Gewinn, aber die Erhöhung der abgesetzten Menge hat hier fast die gleiche Wirkung. Insofern werden bei IT-Lösungen Marktanteils-Strategien naheliegender Weise eine deutlich höhere Bedeutung haben als in anderen Branchen. Das gilt für standardisierte IT-Produkte (zum Beispiel Lizenzen), nicht aber in gleicher Weise für IT-Projekte oder firmenspezifische IT-Lösungen, in denen umfangreiche Anpassungen eine hohe Anzahl von Manntagen und eine ganz andere Aufwandsstruktur bedingt.

Pricing für IT-Produkte: Cost Based, Competition Based oder Value Based Pricing?

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Pricing für industrielle Güter und für IT-Lösungen sehen wir darin, dass ein Cost-based pricing im IT-Bereich noch viel weniger anwendbar ist als im B2B-Geschäft. Schließlich sind die Kosten der Produktentwicklung in der Regel sehr hoch, während die variablen Kosten einer einzelnen Lizenz oder Anwendung gering sind. Insofern ist es besonders wichtig, für das Pricing den Wert der Lösung für den einzelnen Kunden oder die Ziel-Branche in Erfahrung zu bringen, um einen angemessenen Preis festlegen zu können.

Gleichzeitig muss natürlich die abzusetzende Menge als weiterer Umsatzhebel möglichst zuverlässig geschätzt werden, was in der Regel alles andere als einfach ist. Aus Markt-Erfahrungen abgeleitete Preis-Absatz-Funktionen wären hier extrem hilfreich, wenn sie denn empirisch zu ermitteln sind: führt eine Preissenkung um 20 % tatsächlich zu einer deutlich höheren abgesetzten Menge an Lizenzen?

Ein Cost Based Pricing bietet sich insofern allenfalls bei IT-Projekten an, in denen firmenspezifische Lösungen oder Anpassungen vorgenommen werden – aber auch nur dann, wenn ein Value-based Pricing keine realistische Alternative darstellt.

Competition Based Pricing ist dann wahrscheinlich, wenn IT-Produkte und -lösungen weitgehend austauschbar sind und der Anwender die Produkte und Lösungen als nahezu gleichwertig ansieht (vgl. hierzu Riekhof on Pricing No. 58). Angesichts der Komplexität vieler Lösungen wird ein realitätsnaher Vergleich aber nicht einfach sein.

Value Based Pricing: auch für IT-Lösungen das Gebot der Stunde

Value Based Pricing (vgl. Riekhof on Pricing No. 57) ist demnach die eigentliche Herausforderung: durch Customer Insights Forschung gilt es herauszufinden, welcher Wert, welcher Arbeitskomfort, welche Einsparungen, welche Prozess-Vereinfachungen, welche beschleunigten Abläufe, welche Prozess-Sicherheit, welche Datenqualität durch die IT-Lösung geschaffen werden. Value Based Pricing ist vermutlich in den meisten Fällen das Gebot der Stunde.

Mit einem Hinweis, der an dieser Stelle nicht fehlen darf: in manchen Bereichen gibt es gerade im IT-Bereich monopolartige Strukturen: hier sind im Pricing ganz andere Gesetzmäßigkeiten festzustellen (die in der Regel zu einer beachtlichen Profitabilität der Anbieter führen). Vielleicht ist das einen eigenen Pricing-Newsletter wert.

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten: Strategien der Preisdifferenzierung für IT-Produkte

In meinem Pricing Newsletter No. 5 hatte ich die Sinnhaftigkeit und auch die Optionen für Preis-Differenzierungen ausführlich dargestellt. Sie alle gelten in gleicher Weise für IT-Lösungen: auf der individuellen Ebene sind Preis-Differenzierungen als persönliche Preisnachlässe zu verstehen, die sich aus der Verhandlungs-Situation, der Kundenbeziehung und anderen Faktoren ergeben. In der Regel finden sie ihren Niederschlag in den Rabattstrukturen eines Unternehmens.

Branchenbezogene Preis-Differenzierungen für IT-Lösungen

Ferner sind auch unterschiedliche Zahlungsbereitschaften verschiedener Branchen in Rechnung zu stellen. Wie in anderen B2B-Märkten auch haben manche Branchen eine deutlich höhere Zahlungsbereitschaft für das eigene Produkt, möglicherweise weil sie selbst in einem sehr profitablen Marktsegment tätig sind. Daraus folgt, dass in unterschiedlichen Branchenkonstellationen die gleiche IT-Lösung nicht den gleichen Preis haben muss.

Regionale und zeitbezogene Preis-Differenzierung für IT-Produkte

Auch auf der zeitlichen und der regionalen Ebene lassen sich für IT-Lösungen Preis-Differenzierungen umsetzen (vgl. hierzu auch Riekhof on Pricing No. 54), etwa wenn in bestimmten Ländern und Regionen eine höhere Zahlungsbereitschaft besteht. Oder geht Ihr Vertriebsteam davon aus, dass die Zahlungsbereitschaft und Kaufkraft in allen asiatischen Ländern oder auch allen europäischen Ländern gleich hoch ist?

Die zeitbezogene Preis-Differenzierung wird sich vermutlich darauf beschränken, dass eine kurzfristige Installation von IT-Lösungen deutlich höhere Preise rechtfertigt, während saisonale Einflüsse eher unwahrscheinlich sind. Allenfalls im Bereich von IT-Services und IT-Dienstleistungen sind zeitbezogene Differenzierungen vorstellbar (so z. B. im Pricing für die 24-Stunden-Hotline oder die Wartungsarbeiten am Wochenende oder an Feiertagen).

Preisdifferenzierung durch Produkt-Differenzierung im IT-Bereich

Auch die Ebene der Produkt-Differenzierung eröffnet Chancen für eine Preis-Differenzierung. So kann es sinnvoll sein, für unterschiedliche Anwendungs-Situationen separate Produktversionen mit differenzierten Features zu schaffen: „one size fits all“ ist eine zwar einfache, aber wenig effiziente Lösung.

Die Komplexität des Produkt-Programms sollte man dabei im Auge behalten. Immerhin schaffen es Automobilhersteller ja auch, mit einer Plattform-Strategie das Produkt-Programm sehr weit aufzufächern (und damit unterschiedlichen Zahlungs-Bereitschaften der Kunden Rechnung zu tragen), während gewissermaßen unter dem Blech klare Standards zu Economies of Scale führen.

Rabattstrategien für IT-Lösungen: kein Unterschied zu anderen B2B-Unternehmen

Auch im Bereich der Rabattstrategie lassen sich viele Grundsätze und strategische Ansätze auf den IT-Sektor anwenden und übertragen (siehe meinen Pricing-Newsletter No. 65 zu den Rabattstrategien). Um den Stellenwert dieses Themas noch einmal zu unterstreichen: alle Abweichungen vom festgelegten Listenpreis betrachten wir als Rabatt (für den es durchaus gute strategische wie auch operative Gründe geben kann und sollte).

Wie hoch ist der jährlich in Kundenrabatte „investierte“ Betrag?

Wenn ein Unternehmen auf den Listenpreis durchschnittlich über alle Kunden und Produkte 15 % Rabatt gibt, sind das bei einem Jahresumsatz vom 100 Mio. € immerhin 15 Mio. €. Ich kenne aus unseren Projekten verschiedene Unternehmen, in denen nicht sehr genau analysiert wird, mit welchen Begründungen diese 15 Mio. € in welche Kundenbeziehungen „investiert“ worden sind. In einer Rabattstrategie sollten hierzu allerdings sehr klare strategische Vorgaben festgelegt sein.

Strategisches Pricing und die Dramatisierung der Alleinstellung von IT-Produkten

In B2C-Märkten ist der Umsatzanteil, der für das Marketingbudget und Investitionen in das Branding reserviert ist, naturgemäß höher als in B2B-Märkten. 20 % vom Umsatz als Marketingbudget ist für Markenartikel keine Seltenheit; dieser Wert liegt für Marken wie Red Bull noch einmal deutlich höher. Aber wir sprechen hier von Consumer Brands und oftmals von Low Interest Items, bei denen das Marketing mehr oder weniger künstliche Unterschiede schaffen muss (die allerdings recht gut wirken, wie es das tatsächliche Kaufverhalten und die Markenpräferenz der Kunden bestätigen).

Doch ist es nicht auch bei mehr oder weniger komplexen IT-Produkten notwendig, die Alleinstellungen des Produktes sehr klar herauszuarbeiten und kommunikativ aufzubereiten? Wir nennen das in unseren Projekten die „Dramatisierung des Produktvorteils.“ Letztlich gibt es auch hier keinen grundsätzlichen Unterschied zu anderen B2B-Branchen. Es ist die eigentliche Aufgabe des Marketings – quasi die Königsdisziplin -, hier für pointierte und wiedererkennbare Botschaften zu sorgen – was ein entsprechendes strategisches Briefing vorausgesetzt.

Dramatisierung und Inszenierung von Produktvorteilen: Lexware und das Panasonic Toughbook

Zwei Beispiele mögen das an dieser Stelle erläutern. Zunächst ist hier das Panasonic Toughbook zu erwähnen: ein Laptop, der für raue Umgebungen geeignet und entsprechend positioniert ist. Die visuelle Gestaltung und Umsetzung bringt die Botschaft auf den Punkt.

Preisstrategien IT-Lösungen
Preisstrategien IT-Lösungen

Werbung für das Panasonic Toughbook.
Fotos: mit freundlicher Genehmigung © Panasonic

Neben diesem Beispiel aus dem Hardware-Bereich ist auch die Kommunikationsstrategie von Lexware und deren visuelle Umsetzung beachtenswert:

Preisstrategien IT-Lösungen
Preisstrategien IT-Lösungen

Werbung für Lexware.
Fotos: mit freundlicher Genehmigung © Reinsclassen GmbH

Typische Preismodelle für den IT-Bereich

Manche Preisstrategien haben eine besondere Bedeutung für Software-Lösungen. So lassen sich rein technisch Pay per Use oder Pay per Click Modelle einfach umsetzen, auch zeitbezogene Nutzungslizenzen (gemessen in Minuten o.ä.) sind technisch einfach umsetzbar (auch wenn sie bisher keine sehr große Verbreitung gefunden haben). Wir werden diesen Preismodellen in einem späteren Newsletter nachgehen.

Pricing-Strategien: Branchen-Unterschiede suchen oder Gemeinsamkeiten finden?

Es scheint eine typische menschliche Eigenheit zu sein, eher Unterschiede zu suchen als Gemeinsamkeiten zu betonen. Die Gefahr: es sinkt die Bereitschaft, von anderen zu lernen und die bewährten Erfolgsmuster zu übernehmen.

In einem Projekt zum Pricing für Kleintransporter und Lieferwagen habe ich die Pricing-Strategie vom Musical „König der Löwen“ (siehe Pricing-Newsletter No. 15) vorgestellt. Die Vorstellung für den 1. August eines Jahres wird beim König der Löwen niemals 6 Monate vor diesem Termin zu 100 % verkauft sein. Zeichnet sich eine hohe Auslastung für den 1. August ab, dann wird der Preis für diese Vorstellung angehoben.

Das Learning für das Transporter-Business: wenn man vorgegebene Produktions-Kapazitäten für die kommenden 12 Monate hat, sollte man nicht schon im April die gesamte verfügbare Jahres-Produktion verkauft haben.

Blicken Sie also eher auf das, was Sie von anderen Unternehmen und Branchen lernen können, anstatt nur Ihren Wettbewerb zu kopieren. Insofern lohnt es sich auch, auf die vielen Gemeinsamkeiten zwischen dem üblichen B2B-Pricing und einem IT-Pricing zu schauen.


Bis zum nächsten Pricing-Newsletter. An dieser Stelle kann ich schon einen kleinen Ausblick auf die anstehenden Themen geben: es wird demnächst um das Thema Pay Per Use im B2B-Feld gehen, und wir werden uns mit Dynamic Pricing beschäftigen.

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