Pricing-Newsletter No. 61 (2022): Strategisches Pricing bei Ausschreibungen: Sind extreme Niedrigpreise alternativlos?

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in unseren Pricing-Projekten begegnet uns oft die Hypothese, dass in Ausschreibungen allein der Preis den Ausschlag gibt. Es lohnt sich, diese Hypothese differenzierter zu betrachten. Und immer wenn der Begriff „alternativlos“ auftaucht, sollten Sie sowieso vorsichtig sein.

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Stimmt eigentlich die Hypothese, dass in Ausschreibungen allein der Preis den Ausschlag gibt? Es lohnt sich, diese Hypothese differenzierter zu betrachten. Und wenn das Wort "alternativlos" auftaucht, sollte man ohnehin vorsichtig sein.

Nehmen Sie an jeder sich bietenden Ausschreibung teil?

Ausschreibungen sind zugegebenermaßen ein nicht ganz einfaches Thema, geht es doch in der Regel um

  • große oder sogar sehr große Auftragsvolumina
  • Commodities
  • stark preisgetriebene Themen, weil die angefragten Leistungen zumeist standardisierbar sind
  • große, internationale Kunden oder öffentliche Institutionen, die man gerne auf der Referenzliste hätte.

In unserer Matrix gehört das Thema ganz eindeutig in den Quadranten „Discount-Pricing“ bzw. „Commodity Pricing – siehe dazu auch unseren Pricing-Newsletter No. 10 (siehe folgende Abbildungen). Und in der Regel geht es dabei auch um ein Transactional Pricing, bei dem Lieferanten mehr oder weniger austauschbar sind – nur deshalb macht eine Ausschreibung letztlich Sinn.

LSDC-Modell
Ausschreibungen

Diese Matrix verwenden wir in unseren B2B-Projekten, um situativ differenzierte Preisstrategien darzustellen. Copyright: UNICconsult

Was meine eigenen Aktivitäten in der Unternehmens-Beratung angeht, so beschränken wir uns darauf, an Ausschreibungen teilzunehmen, wenn wir dazu explizit aufgefordert werden. Das bedeutet, dass wir den Kunden mehr oder weniger gut kennen (und der Kunde uns auch).

Ausschreibungen anhand strategischer Kriterien selektieren

Wenn man sich dafür entscheidet, in Bezug auf Ausschreibungen selektiv vorzugehen, benötigt man entsprechende Selektions-Kriterien, etwa der folgenden Art:

1. Strategische Kriterien zur Selektion von Ausschreibungen:

  • Passt die angefragte Leistung zu den eigenen Kernkompetenzen, können in diesem Feld die eigenen strategischen Stärken ausgespielt werden?
  • Stammt das Unternehmen aus festgelegten und priorisierten Zielbranchen? Schließlich ist einer der Grundsätze des Pricing darin zusehen, dass jeder langfristig die Kunden hat, die er verdient – strategisches Pricing wird auch über die Steuerung des Kundenportfolios umgesetzt.
  • Handelt es sich um vorhandene Kunden, zu denen ein langfristiges und gutes Verhältnis besteht?

2. Operative Kriterien zur Selektion von Ausschreibungen

  • Passt die zur Diskussion stehende Auftragsgröße zu den eigenen Kapazitäten und operativen Fähigkeiten?
  • Gibt es eine regionale Nähe, die die Erfüllung des Auftrags erleichtert?
  • Sind die eigenen Kapazitäten gerade gut ausgelastet, oder gibt es hinreichend freie Kapazitäten in der eigenen Organisation?

Ein Scoring-Modell für die Selektion von Ausschreibungen entwickeln

Manche Unternehmen generieren einen großen Anteil des Geschäftes über Ausschreibungen, so dass sie idealerweise über einen weitgehend standardisierten Prozess der Selektion, Bearbeitung und Teilnahme sowie Erfolgsbewertung von Ausschreibungen verfügen. Bei der Selektion kann ein Scoring-Modell helfen, das zum Beispiel die oben genannten strategischen und operativen Selektionskriterien berücksichtigt.

Im Vorfeld Inhalte, Themen und (Qualitäts- ) Vorgaben der Ausschreibung beeinflussen

Nicht immer ist es möglich (in manchen Bereichen sogar eher sehr selten), im Vorfeld auf die Inhalte der Ausschreibung Einfluss zu nehmen. Aber in unseren Pricing-Projekten begegnen wir immer wieder auch der Möglichkeit, beim ausschreibenden Unternehmen bestimmte Anforderungen und Qualitäts-Kriterien als notwendige Anforderungen zu etablieren.

Differenziertes Pricing bei Ausschreibungen

Bei der konkreten Ausgestaltung des Pricing in Ausschreibungen ist ein möglichst differenziertes Vorgehen bei den einzelnen Positionen und Elementen anzuraten:

  • Bei Commodities – leicht vergleichbare Positionen mit hohen Volumina – ist ein eher aggressives Pricing im Sinne knapper Kalkulationen zu erwarten.
  • Im Bereich besonderer Services und Leistungen ist voraussichtlich ein Convenience Pricing mit höheren Deckungsbeiträgen umsetzbar.
  • Bei Innovationen und Produkten mit Alleinstellungen sollte man höhere Deckungsbeiträge realisieren können.

Abweichungen von der Ausschreibung: differenziertes Pricing bei Nachträgen

Nicht alle Unternehmen sind sehr konsequent im Nachtrags-Management: nach erfolgtem Zuschlag und entsprechender Auftragserteilung werden von Auftraggebern oftmals Leistungen und Produkte geordert, die im ursprünglichen Angebot nicht enthalten waren. Bei diesen Leistungen sind dann in der Regel deutlich höhere Preise durchsetzbar. Hier ist ein sorgfältiges Tracking der erbrachten Leistungen erforderlich.

Ausschreibungen systematisch auswerten: Erfolgsfaktoren bei Ausschreibungen

Der erste Schritt für ein systematisches Monitoring des Erfolgs bei Ausschreibungen ist eine überregionale bzw. internationale Datenbank, in der Ausschreibungen und erstellte Angebote systematisch und in gut vergleichbarer Form dokumentiert werden. Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, ist aber durchaus in vielen Unternehmen noch nicht der Fall. Bei einem Dienstleister der Medienbranche haben wir folgende Kriterien erfasst und analysiert:

  • Kalkulation (kalkulierte Marge)
  • Auftragsgröße
  • Komplexität des Auftrags und eingesetzte Technologien
  • Branche und Größe des Kunden
  • Neukunden vs. Stammkunden
  • Regionale Nähe des Kunden
  • Timing (Kurzfristigkeit vs. Vorlaufzeit)
  • Aspekte der eigenen (saisonbezogenen) Auslastung.

Gerade die letzten beiden Punkte erwiesen sich als besonders wichtige Faktoren: gewonnen wurden von diesem Unternehmen vor allem Projekte, die frühzeitig ausgeschrieben wurden und die sich auf die typischen saisonalen Nachfrage-Höhepunkte bezogen. Offensichtlich hatte man hier eher mit recht niedrigen Preisen angeboten und mögliche Kapazitätsengpässe im Markt nicht konsequent eingepreist. Und für kurzfristig und mit hohen Deckungsbeiträgen umsetzbare Projekte fehlten dann die Kapazitäten. Was letztlich erforderlich wurde: die Attraktivität bestimmter Saison-Zeitpunkte oder -phasen im Pricing zu berücksichtigen.

Eine (Preis-) Strategie für Ausschreibungen entwickeln

Es sollte deutlich geworden sein, dass Ausschreibungen für viele Unternehmen einen hohen strategischen Stellenwert haben können. Dabei wird es immer wichtiger, ein strategisches Vorgehen im Pricing festzulegen, die Pricing-Prozesse zu überprüfen, systematische Auswertungen der Ausschreibungserfolge vorzunehmen und auf dieser Basis die Preisstrategie weiterzuentwickeln.

Mit besten Wünschen und bis zum nächsten Pricing-Newsletter – und vielleicht sehen wir uns ja demnächst in Hamburg in einem meiner Pricing-Seminare?

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Foto: Tima Miroshnichenko/pexels

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