Pricing-Newsletter No. 67 (2023): Wie funktioniert Value Pricing im B2B-Geschäft? Ein Interview mit Reinhold Zintgraf

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Value Pricing ist in aller Munde, und es scheint in vielen Unternehmen gar keine wirkliche Alternative zu geben. Doch wie setzt man eine Value Pricing-Strategie im B2B-Geschäft tatsächlich um? Mein ausführliches Interview mit meinem früheren Kollegen Reinhold Zintgraf kann und soll hier ein wenig Licht ins Dunkel bringen.

Viel Spaß bei der folgenden Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Value-Pricing ist in aller Munde - aber wie setzt man eine Value Pricing-Strategie im B2B-Geschäft tatsächlich um? Im ausführlichen Interview mit Reinhold Zintgraf wird dieses Thema tiefergehend beleuchtet. Dabei gibt er hilfreiche Tipps.

B2B-Pricing: die zentrale Rolle des Marketings

Prof. Riekhof: Herr Zintgraf, Sie haben sich seit vielen Jahren mit der Praxis des Value-Pricing befasst. Können Sie uns zunächst sagen, in welchen Unternehmen und Funktionen Sie mit diesem Thema befasst waren?

Reinhold Zintgraf: Zunächst habe ich einige Jahre bei BCG in der Unternehmensberatung gearbeitet. Bereits dort lag mein Beratungsschwerpunkt im B2B-Bereich. Später habe ich mehr als 20 Jahre in einem global tätigen Konzern gearbeitet. Ich hatte dort verschiedene Positionen inne, die unmittelbar mit der Festlegung und Durchsetzung von Pricing-Strategien und auch von Value-Based-Pricing verbunden waren: sei es als Leiter einer weltweiten Business Unit im International Headquarter, als Leiter Marketing & Sales für die Region Asia-Pacific oder als Regionalchef Western Europe.

Dabei war es grundsätzlich immer Teil des Marketings, Innovationen zu managen, Verkaufs-Argumentationen und Vertriebs- bzw. Kunden-Schulungen zu organisieren und eben auch Preis-Festlegungen und -Durchsetzungen zu verantworten. Wie bei allen B2B-Firmen basiert unser sehr technisch orientiertes Marketing auf exzellentem Know-How der Kunden-Prozesse und Wertschöpfungsketten. Und nur daraus kann auch Value-Pricing entstehen.

Value-Pricing: die Wertschöpfungs-Prozesse der Kunden verstehen

Prof. Riekhof: Value-Pricing ist meiner Beobachtung nach seit einigen Jahren gerade auch im B2B-Geschäft deutlich auf dem Vormarsch. Ist das auch Ihre Beobachtung, und worauf führen Sie das zurück?

Reinhold Zintgraf: Einer meiner ersten Verantwortungsbereiche war die Leitung einer Business Unit „Automotive“, und zwar in der Zeit des sog. „Lopez-Effektes“. Die Automobilkonzerne wollten mehr und mehr Transparenz über Prozesse und Kostenstrukturen ihrer Lieferanten und damit mehr Einfluss auf deren Pricing. Nach dem Motto „mache aus der Not eine Tugend“ studierten wir viel intensiver die Wertschöpfungsketten unserer Kunden und bekamen so auch ein wesentlich tieferes Verständnis über den Wert unserer Produkte beim Kunden bzw. sogar bei deren Endkunden.

Value-Pricing

Value-Pricing-Strategien im B2B-Bereich ermöglichen höheres Kundenvertrauen und Gewinneffekte. Foto: Pixaby/pexels.com

Firmen haben erkannt, dass ein modernes Industrie-Marketing die Basis für ein Value-Pricing schaffen kann und muss. Die Vorteile sind offensichtlich:

  • durch die Transparenz und Quantifizierung des „Value“ der gelieferten Produkte ein höheres Vertrauen der Kunden und eine bessere Kundenbindung
  • eine weltweite Zunahme des Know-How im Vertrieb über den Austausch von Best Practices zum Value-Pricing
  • Dies führt letztlich zu höheren Preisen und den entsprechenden Gewinn-Effekten.

Value-Based-Pricing: zunächst alles andere als ein „Selbstgänger“

Prof. Riekhof: Fällt es Unternehmen eigentlich leicht, von einem Cost-Based-Pricing oder einem Competition-Based-Pricing zu einem Value-Pricing überzugehen? Gibt es da ggf. besondere Hemmschwellen?

Reinhold Zintgraf: Nach meiner Beobachtung fällt es Firmen zunächst recht schwer, den Cost-Based oder Competition-Based-Pfad zu verlassen, vor allem bei solchen Produkten, die als „Generalisten“, Basisprodukte oder Commodities in viele Industrien und zahlreiche Anwendungen gehen. Zum einen ist der enorme Hebel des Pricing auf die Gewinne anfangs nicht für alle sichtbar, während es andererseits zunächst mehr Arbeit und Zeitaufwand für alle Beteiligten bedeutet; so müssen Anwendungstechniker viel tiefer in die Kundenprozesse eintauchen und mögliche Verbesserungen in geldwerte Vorteile übersetzen, die der Kunde auch akzeptieren kann. Für mich ist das übrigens „Customer Intimacy at it’s best“.

Prof. Riekhof: Und wie gestaltet sich der Übergang zum Value-Pricing ganz konkret?

Reinhold Zintgraf: Dieser Übergang erfordert zwei wesentliche Schritte:

  1. Aufmerksamkeit und Prioritäten-Setzung auf Pricing-Themen: unser CEO hat seinerzeit das gesamte Unternehmen extrem auf das Thema Pricing fokussiert. Dem top down Approach im Headquarter folgte ein aktiver Umsetzungsprozess in allen Business Units und Regions- bzw. Länder-Organisationen.
  2. Segmentierung der Pricing-Strategien: in Analogie zu heute gängigen Marktsegment-Strategien mussten auch unsere Value-Pricing-Strategien segmentiert werden. Value-Pricing kann nicht für jedes Produkt umgesetzt werden, sondern nur für Schlüssel-Anwendungen und -Produkte.

Ferner ist die Basis für das Value-Pricing bei jeder Industrie anders: bei internen Prozess-Verbesserungen in einer Papierfabrik wird anderes argumentiert als bei Elektronik- oder Automotive-Kunden, deren Endprodukte dank neuer Eigenschaften unserer Produkte, die wir dorthin zuliefern, „besser“ werden.

Value-Pricing erfordert eine value-bezogene Argumentationsstrategie

Prof. Riekhof: Wie lässt sich der zusätzliche Value, den Innovationen schaffen, in deutlich höhere Preise übersetzen?

Reinhold Zintgraf: Das größte Hemmnis im Markt einer von uns entwickelten wirklich bahnbrechend neuen Lösung war – zunächst – der Preis, der um ein zig-faches höher lag als die bisherige Lösung. Dieses Produkt unterstützt die Herstellprozesse unserer Kunden und sorgt für eine reibungslosere Fertigung.

Der Preis war im ersten Schritt für unseren Außendienst und die Einkaufsabteilung des Kunden unakzeptabel hoch. Man sah dem Produkt die revolutionären Vorteile nicht an. Und ohne eine Value-bezogene Argumentation wäre die Innovation entweder gar nicht oder nur sehr zögerlich im Markt akzeptiert worden.

Prof. Riekhof: Wie reagieren Kunden auf einen Preis, der nicht 50 % höher ist, sondern bei 3.000 % im Vergleich zum bisherigen Produkt liegt?

Reinhold Zintgraf: Der erste Schritt ist immer ein Vergleich des Preises des alten mit dem neuen Produkt. Deshalb war die Akzeptanz unserer Innovation zunächst bei null. Wenn Sie dann aber argumentieren, dass die Beschaffungskosten pro Jahr sagen wir einmal als Beispiel 500 T€ Euro höher liegen, dadurch aber Einsparungen zwischen 1.500 T€ und 2.000 T€ erreicht werden, dann hören Ihnen der Einkauf und die Produktions- oder Geschäftsleitung zu.

Value-Pricing: Zuerst die eigenen Mitarbeiter vom Wert der Lösung überzeugen

Prof. Riekhof: War es letztlich einfach, einen auf den ersten Blick doch extrem hohen Preis intern durchzusetzen? Wer hat Sie dabei ggf. unterstützt? Wie haben Sie dem Vertrieb diesen gewaltigen Preisunterschied erklärt? Gab es da spezielle Schulungen, Produktunterlagen, Argumentationstrainings?

Reinhold Zintgraf: Für mich war es überraschend, dass der Widerstand bei den eigenen Mitarbeitern höher war als beim Kunden. Im Außendienst kann ich nur erfolgreich sein, wenn ich von meinem Produkt und meinem Preis überzeugt bin, nur dann kann ich selbstbewusst in jedes Kundengespräch gehen. Und dieses Selbstbewusstsein mussten wir erst einmal herstellen, und zwar durch Trainings und Schulungen für den Vertrieb und die Anwendungstechnik.

Dabei geht es zunächst um die Produkteigenschaften, dann aber um die erwähnten Einsparpotenziale. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Betroffenen nicht die Beträge der Einsparung (z.B. „1,5 Mio. €“) als Zahl genannt bekommen, sondern dass sie die Methodik anwenden, mit denen Kunden ihre Einsparungen selbst errechnen können.

Value-Pricing: nicht in alle Regionen 1:1 übertragbar

Diese Berechnungen müssen für jede Firma, eventuell sogar für jede Maschine erstellt werden. In Hochlohnländern wie Japan oder Deutschland sieht die Kalkulation anders aus als in Niedriglohnländern. Bei einem Kunden in den Philippinen war unsere neue Lösung absolut unwirtschaftlich wegen der niedrigen Personalkosten.

Value-Pricing: Innovative Lösungen gemeinsam mit dem Kunden entwickeln

Prof. Riekhof: Sie haben also eine detaillierte Cost-Benefit-Analyse bzw. Wirtschaftlichkeits-Betrachtung erstellt. Wer war für die Erstellung verantwortlich, und woher stammen die (Kunden-) Daten, die Sie zugrunde gelegt haben?

Reinhold Zintgraf: Bedeutende Innovationen entstehen oft in Zusammenarbeit mit einem Leitkunden, so auch in unserem Fall. Die brillante Idee als Basis für unsere Innovation kam von einem Mitarbeiter, der zu vielen Herstellern der Abnehmer-Branche einen guten Zugang hatte und der deshalb die Schwachpunkte der traditionellen Lösung in der Produktion unserer Kunden sehr gut kannte.

In enger Zusammenarbeit mit dem Kunden wurde das Produkt entwickelt und getestet. Parallel wurden die Daten für die Wirtschaftlichkeits-Rechnung ausgearbeitet, die hier beispielhaft genannt werden:

  • Reduktion des Materialbedarfs um 66 %
  • Reduktion des Zeitaufwandes für den betroffenen Arbeitsschritt ebenfalls um 66 %
  • Verzicht auf eine Reduktion der Geschwindigkeit der Fertigungsmaschinen des Kunden bei der Anwendung unseres Produktes
  • Geringere Kosten für reduzierte Maschinenstillstände bzw. Produktionsunterbrechungen.

Value-Pricing setzt detaillierte Kenntnis der Prozesskosten voraus

Dazu mussten Kunden-Daten über einen längeren Zeitraum aufgezeichnet werden, um sie statistisch abzusichern, und der Kunde musste auch bereit sein, den internen Maschinenstundensatz zu nennen. Der Zugang zu diesen sensiblen Daten ist nicht einfach. Für mich ist „Customer Intimacy“ der Schlüssel-Erfolgsfaktor für das Value-Pricing.

Prof. Riekhof: Wer war Ihr Ansprechpartner beim Kunden? Eher der Einkauf? Oder der Anwender in der Produktion?

Reinhold Zintgraf: In unserem konkreten Fall war eine enge Zusammenarbeit mit der Produktion ausschlaggebend, vor allem während der Entwicklungsphase. Der Einkauf wurde einbezogen, als deutlicher wurde, dass die neue Lösung umsetzbar war und ein Austausch der Technologien nötig wurde. Die Wirtschaftlichkeitsrechnungen wurden dann mit dem Einkauf gemeinsam entwickelt.

Value-Pricing: vor allem bei den Schlüssel-Anwendungen beginnen

Prof. Riekhof: Gibt es einige generelle Schlussfolgerungen, die Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen mit dem Value-Pricing ziehen würden? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um eine erfolgreiche Value-Pricing-Strategie umzusetzen?

Reinhold Zintgraf: Ich sehe drei generelle Punkte:

  1. Unternehmen müssen beim Value-Pricing immer von den Kunden-Prozessen und/oder der Kunden-Produkt-Performance ausgehen
  2. Value-Pricing macht Sinn bei ausgewählten Schlüsselanwendungen. Weniger differenzierende Produkte werden dann in ein breiteres „Pricing-Paket“ integriert.
  3. Erfolgreiche Value-Pricing Strategien stehen nie still. Patente laufen aus, und Konkurrenzprodukte oder neue Prozesse werden entwickelt. Deshalb muss es ein strategischer Ansatz bleiben, stetig neue „Values“ beim Kunden zu schaffen, transparent zu machen und sie entsprechend zu bepreisen.

Prof. Riekhof: Herzlichen Dank für das Gespräch und die detaillierten Einblicke in das Value-Pricing.

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