Drogenkonsum als Mikrodosis – ein neuer Trend?

Am 14. Mai 2018 hielt Prof. Dr. Dr. Joachim Röschke, Psychiater und Chefarzt des Scivias St. Valentinus Krankenhauses in Kiedrich, auf Einladung von Dr. Hans-Christian Riekhof, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der PFH Private Hochschule Göttingen, einen Vortrag mit dem Titel „Sex, Drugs and Alcohol. Was Manager über Suchtgefahr wissen sollten.“

Im Interview mit Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof gibt der Psychiater und Chefarzt Prof. Dr. Dr. Joachim Röschke Einblicke in den Drogenkonsum in Managementkreisen, erläutert Wirkungsweisen von Drogen und nimmt Stellung zum Thema Legalisierung und suizidale Gefahren.

 

Professor Riekhof: Berichten aus den USA zufolge ist die Einnahme sehr geringer Mengen von Drogen, zum Beispiel von LSD, ein neuer Trend, der sich schnell ausbreitet. Man nennt das Microdosing. Die Empfehlung lautet: 10 Mikrogramm LSD alle 3 Tage. In den Berichten liest man von einer gesteigerten Wachheit, Konzentrationsfähigkeit und Kreativität, von einer verbesserten Stimmungslage und reduzierter Gereiztheit – alles Wirkungen, die man sich nur wünschen kann. Die geringe Menge soll verhindern, dass Halluzinationen entstehen. Ist es realistisch und medizinisch nachvollziehbar, dass diese Effekte entstehen?

Professor Röschke: Die Wirkungen selbst kleinster Mengen von LSD sind weitgespannten intraindividuellen Variationen unterworfen. Wissenschaftliche, kontrollierte Studien zum sogenannten „microdosing“ existieren nicht, bestenfalls Einzelberichte sind bekannt. Dass die gewünschten Effekte im Einzelfall auftreten, möchte ich nicht ausschließen. Eine Empfehlung ist deswegen jedoch nicht auszusprechen! Solange die Mechanismen einer manifesten Abhängigkeitsentwicklung  (das sind Gewöhnungseffekte und konsekutive Dosissteigerung trotz nachweislich negativer Nebenwirkungen) nicht auftreten, sind im Einzelfall keine Einwände zu machen. Nicht jeder, der hin und wieder ein „kleines Bierchen“ trinkt, wird zum Alkoholiker.

Riekhof: Das Ganze wird in den Zeitungsberichten als weitgehend ungefährlich eingestuft. Teilen Sie diese Einschätzung? Gehört das Microdosing bald zum Alltag gestresster Manager auch in Deutschland?

Röschke: Wir betreten hier das Feld des Neuro-Enhancings. Zu welch dramatischen Folgen z.B. Kokainkonsum führen kann, ist gut bekannt: starke psychische Abhängigkeit, Psychosen, Halluzinationen, Affektlabilität usw. Grundsätzlich sehe ich nicht, dass selbst kleinste Dosen LSD ungefährlich konsumiert werden können. Je nach psychischer Verfassung des Konsumenten und auch genetischer Disposition können psychoaktive Substanzen vor allem mit psychodelischen Eigenschaften auch in geringen Mengen psychotische Zustände hervorrufen. Vor allem, wenn es alle 3 Tage eingenommen wird.

Riekhof: In der Schweiz bietet Lidl jetzt Cannabis-Produkte an. Wird das Rauchen von Grass jetzt die Alternative zum Feierabend-Bier? Zeigt das, dass Drogen in geringer Konzentration gesellschaftsfähig werden? Welche langfristigen Konsequenzen auf den Umgang mit Cannabis sehen Sie?

Röschke: Für einige medizinische Indikationen (z.B. in der Schmerztherapie) ist Cannabis (Haschisch, THC) sicher in Betracht zu ziehen. THC jedoch grundsätzlich zu legalisieren, davon rate ich entschieden ab! Durch THC angestoßene psychotische Zustände sind häufig, ebenso Angstzustände. Bei genetisch vorbelasteten – aber klinisch noch nicht auffälligen – Risikopatienten für z.B. schizophrene Störungen kann durch THC der manifeste Ausbruch der Erkrankung getriggert werden. Darüber hinaus kann sich eine THC-Abhängigkeit entwickeln und auch eine affektive Störung, ein sogenanntes amotivationales Syndrom kann angestoßen werden. Sucht ist eine Krankheit und keine Charakterschwäche. Wenn THC legalisiert wird, wittern einige Krankenkassen schon die Möglichkeit, für die Kosten der Suchtbehandlung nicht mehr aufkommen zu müssen. Negativbeispiel ist hier die ViAktiv Krankenkasse.

Riekhof: In manchen Branchen ist der Missbrauch von Drogen weiter verbreitet als in anderen Branchen. Führen Sie das auf den besonderen Stress und Druck in diesen Branchen oder Unternehmen zurück, oder sehen Sie andere Ursachen?

Röschke: Konsum ist immer abhängig von der Verfügbarkeit. Die Vorfreude auf ein „Feierabend Bierchen“ oder der Konsum anderer psychotroper Substanzen zur Belohnung oder Entspannung ist in der Tat weit verbreitet. Welche Substanz in welchen Kreisen tatsächlich konsumiert wird, hängt in starkem Maße von den regionalen Angeboten und den Preisen ab. In den Großstädten sind die Preise für Kokain z.B. derart gefallen (Überangebot), dass billige Substanzen (Designerdrogen) bei den Besserverdienenden deutlich in den Hintergrund getreten sind. Stressbelastung im Allgemeinen öffnet die Eingangspforte zum Konsum (legaler oder illegaler) psychotroper Substanzen unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung.

Riekhof: Ist ein sozial unauffälliger Kokainkonsum im sozialen Leben und in der Berufswelt über eine längere Zeit möglich?

Röschke: Ja, das erleben wir immer wieder. Erst wenn die Abhängigkeit fortgeschritten ist, die Gedanken beinahe nur noch mit dem Beschaffen der Substanz beschäftigt sind, werden die Betroffenen sozial so auffällig, dass die Sucht nicht mehr zu übersehen ist. Häufig haben die Konsumenten dann schon viele Schulden angehäuft.

Riekhof: Sehen Sie eine Zunahme des Drogenkonsums in Managementkreisen, oder hat es das immer schon gegeben? Hat sich eventuell nur die Art der Drogen geändert, die konsumiert werden?

Röschke: Ich denke, dass es immer schon und immer noch ganz der Alkohol ist, der hierbei (als legale Droge) im Vordergrund steht. Wegen des Risikos, als Alkoholiker identifiziert zu werden (man kann es riechen), ist ein Umsteigen auf illegale Drogen häufig. Insofern hat sich die Art des Drogenkonsums verschoben, nicht die Tendenz des Konsums. Da die Anforderungen im Beruf gestiegen sind, fangen die Konsumenten an, sich mit „Uppers“ (z.B. Kokain) auf Höchstleistung zu fahren, um sich am Abend mit „ downers“ (z.B. Alkohol, Benzodiazepinen, THC) zum Schlafen zu bringen.

Riekhof: Wie schnell entstehen Abhängigkeiten? Gibt es da Unterschiede in den Drogenarten?

Röschke: Oh ja, allerdings individuell sehr unterschiedlich. Bei Heroin geht es extrem schnell – schon nach ein paar maligen Konsum. Bei CRACK ist es auch kein langer Weg. Bei THC braucht es länger. Des Weiteren hängt es nicht nur von den Substanzen ab, sondern auch vom Konsumverhalten an sich (Dosis und Frequenz des Konsums). Deswegen spricht man heute auch lieber von „ hartem und weichen Konsum“ statt von „ harten und weichen Drogen“.

Riekhof: Was sind im Alltag Hinweise auf Drogenkonsum? Kann es Vorgesetzten über längere Zeit entgehen, dass enge Mitarbeiter regelmäßig Drogen mit dem Ziel nehmen, ihre Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und ihre Grundstimmung und Befindlichkeit temporär zu verbessern?

Röschke: Ein typischer Indikator sind häufige Fehlzeiten der Mitarbeiter. Häufungen einzelner Fehltage, vor allem montags, geben Anlass, dem Thema nachzugehen. Außerdem stellen Vorgesetzte fest, dass die Leistungsfähigkeit keineswegs zunimmt, sondern im Gegenteil abnimmt. Typisch ist auch ein Wechsel zwischen Euphorie und Melancholie. Und wenn bereits Gerüchte über Drogenkonsum kursieren, spätestens dann darf man als Chef nicht mehr wegsehen.

Riekhof: Was empfehlen Sie Führungskräften, wenn es manifeste Hinweise auf Drogenkonsum bei den Mitarbeitern gibt?

Röschke: Zunächst muss man das Gespräch suchen. Wichtig ist es, die Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol als eine biologische Krankheit zu akzeptieren und sie nicht als Charakterschwäche zu begreifen. Eine Selbstkontrolle des Konsums bei einer manifesten Sucht („ich habe das im Griff, ich kann auch kontrolliert trinken“) gibt es nicht mehr. Die Abhängigen können nicht mehr anders, auch wenn sie diesen Konsum eigentlich nicht mehr wollen. Es gibt zu viele Reize in der Umwelt, die quasi den biologischen Schalter im Gehirn umlegen und zum Konsum zwingen. Dafür schämen sich die Betroffenen – aber sie sind diesem zwanghaftem Verhalten aufgrund des starken Suchtdrucks (Craving ) schutzlos ausgeliefert. Solange die Substanz irgendwo in der Nähe ist, ist die Versuchung gegeben, so dass man ihr nicht widerstehen kann.

Riekhof: In Ihrem Vortrag haben Sie erwähnt, dass die Suizidraten seit Jahren rückläufig sind – auch wenn sie immer noch ein Vielfaches der jährlichen Verkehrstoten betragen. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Suizidraten in der entwickelten, westlichen Welt deutlich höher liegen als in traditionellen Gesellschaften? Eigentlich sollte man annehmen, dass es den Menschen in den reicheren Ländern der Welt besser geht und man ein „glücklicheres“ oder auch sorgenfreieres Leben führen kann.

Röschke: Ein prognostisch wesentlicher Faktor für suizidale Entwicklungen ist die Einsamkeitsproblematik. Alle vereinsamten Personen haben grundsätzlich ein hohes Risiko für einen Suizid. Wenn dann noch weitere psychiatrische Störungen oder psychosoziale Komplikationen hinzukommen, z.B. Depressionen, Alkoholabhängigkeit, Angststörung, Verlust des sozialen Gefüges, Armut usw., ist höchste Vorsicht geboten. Diese zunehmende Einsamkeitsproblematik ist ein Kardinalsymptom der modernen Gesellschaft. In Mehrgenerationenhäusern oder anderen Form des gesellschaftlichen Lebens entwickeln sich hoffnungsgebende Hinweise, diesen strukturellen Schwächen etwas entgegen zu setzen.

Riekhof: Worin sehen Sie die Ursachen, dass der Gebrauch von Psychopharmaka in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren zugenommen hat? Ist der Zugang zu Psychopharmaka einfacher geworden? Oder stellen die Belastungen des Einzelnen in unserer Gesellschaft inzwischen für einen Teil der Bevölkerung eine Überforderung dar?

Röschke: Die Prävalenz psychischer Erkrankungen hat nach aktueller Studienlage in den letzten Jahren nicht zugenommen. Es hat sich aber das „Inanspruchnahmeverhalten“ des Versorgungssystems geändert. Psychische Störungen sind gesellschaftsfähiger geworden. Durch Offenlegung psychischer Störungen bei Hochleistungssportlern (z.B. Fußballprofis) und den Berichten in der Presse hierüber löst sich ganz allmählich die Tabu- und Stigmatisierung der Betroffenen. Deswegen werden im Versorgungssystem immer mehr Betroffene, die oftmals gar nicht verstehen, was mit ihnen geschieht oder geschehen ist, vorstellig, und die Zahlen für psychotherapeutische und psychopharmakologische Interventionen nehmen zu. Diese klare Tendenz erklärt das nachgefragte Phänomen. Allerdings sind wir meilenweit davon entfernt, die Mehrzahl der Betroffenen auch tatsächlich in die notwendige Behandlung zu bekommen.

Riekhof: Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

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