Pricing-Newsletter No. 73 (2023): Dynamic Pricing: welchen Beitrag kann KI zur Optimierung des Pricing leisten? Ein Interview mit Andreas Stauber.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

eigentlich ist KI kein wirklich neues Thema. Die methodische Vorgehensweise ist bekannt, und viele Unternehmen haben mit KI bereits experimentiert. Eine der wichtigsten Limitierungen: welches sind die Daten, mit denen die Algorithmen trainiert werden? Gibt es dadurch systematische Verzerrungen?

Über die Möglichkeiten, KI im Rahmen des Dynamic Pricing einzusetzen, habe ich mit Andreas Stauber gesprochen. Er hat sich als Director of Pricing bei Fielmann und bei Media-Markt-Saturn mit dem Thema intensiv befasst, und er war für den Aufbau und Roll-out der internationalen Pricing-Funktionen verantwortlich.

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Ihr Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Prof. Dr. Hans-Christian Riekhof

Viele Unternehmen haben mit KI bereits experimentiert. Wie sich Künstliche Intelligenz für das Dynamic Pricing einsetzen lässt, darüber haben wir mit Andreas Stauber gesprochen. Er hat sich als Director of Pricing bei Fielmann und bei Media-Markt-Saturn mit dem Thema intensiv befasst.

Dynamic Pricing: Preise in Echtzeit anpassen

Prof. Riekhof: Eine grundsätzliche Frage gleich zu Beginn: Wo fängt für Sie das Dynamic Pricing an? Was ist das konstituierende Element?

Andreas Stauber: Für mich beginnt Dynamic Pricing mit der Fähigkeit, Preise in Echtzeit oder nahezu in Echtzeit anzupassen, basierend auf verschiedenen Faktoren wie Angebot und Nachfrage, Wettbewerbspreise, Kundenverhalten und andere Marktbedingungen. Das konstituierende Element ist die kontinuierliche Anpassung der Preise, um den aktuellen Marktbedingungen gerecht zu werden.

Prof. Riekhof: Sehen Sie derzeit einen Hype um das Thema Dynamic Pricing?

Andreas Stauber: Es gibt sicherlich ein wachsendes Interesse am Dynamic Pricing, was teilweise auf die Fortschritte in der Technologie und die Verfügbarkeit von Daten zurückzuführen ist. Dennoch würde ich es nicht unbedingt als Hype bezeichnen, sondern eher als eine natürliche Entwicklung und Anpassung an die heutigen schnelllebigen Märkte.

Amazon: Führend im Dynamic Pricing – mit Tendenz zur Entschleunigung

Prof. Riekhof: Wer ist in Ihrer Wahrnehmung im Dynamic Pricing ganz weit vorne?

Andreas Stauber: Amazon gilt zweifellos als einer der Pioniere im Bereich Dynamic Pricing. In jüngerer Zeit scheint es jedoch, zumindest meiner subjektiven Meinung nach, bei Amazon zu einer Entschleunigung der Preisänderungen gekommen zu sein. Man kann schon von einer Entschleunigung sprechen, wenn statt bis zu 30 Preisänderungen am Tag nur noch 5 stattfinden.

Prof. Riekhof: Wird Ihrer Einschätzung nach die „Dynamik“ im Sinne von Geschwindigkeit der automatisierten Preis-Anpassungen insgesamt weiter zunehmen?

Andreas Stauber: Meiner Ansicht nach Ja als auch Nein. Die Fähigkeiten zur automatisierten Preis-Anpassung nehmen insgesamt zu, vor allem aufgrund von Fortschritten in der Technologie und den Analysefähigkeiten, die eine schnellere und präzisere Reaktion auf Marktveränderungen ermöglichen.

In den letzten Monaten haben jedoch viele Unternehmen versucht, ihre Preise eher zu stabilisieren oder sogar anzuheben, was zu weniger Preisveränderungen geführt hat.

Dynamic Pricing

Mehrmalige tägliche Preisänderungen im Einzelhandel finden keine Akzeptanz.
Foto: © iStockphoto

Die Akzeptanz von Dynamic Pricing durch den Kunden

Prof. Riekhof: Wie schätzen Sie die Akzeptanz der Kunden von Dynamic Pricing Strategien ein? Ist da ggf. auch mit Reaktanz zu rechnen?

Andreas Stauber: Die Akzeptanz von Dynamic Pricing durch Kunden variiert je nach Branche und Kontext. In einigen Fällen, wie bei Flugpreisen oder Veranstaltungstickets, ist es bereits weit verbreitet und akzeptiert. In anderen Bereichen kann es jedoch zu Reaktanz kommen, insbesondere wenn Kunden das Gefühl haben, dass sie unfair behandelt werden.

Prof. Riekhof: Gibt es moralische Vorbehalte seitens der Kunden – oder vielleicht auch der Medien?

Andreas Stauber: Es gibt sicherlich moralische Bedenken in Bezug auf Dynamic Pricing, wie zum Beispiel die Sorge um Diskriminierung oder Preisabsprachen. Die Grenze zwischen Dynamic Pricing mit Marktsegmentierung und Preisdiskriminierung ist in der Tat sehr schmal. Jedes Unternehmen muss für sich selbst entscheiden, wie es mit dieser Herausforderung umgeht. Es ist wichtig, dass der Einsatz von Dynamic Pricing und die Werte des Unternehmens miteinander im Einklang stehen.

Auf dem Weg zum KI-basierten Dynamic Pricing

Prof. Riekhof: Dynamic Pricing ist ja nicht gleich KI-basiertes Pricing. Wo sehen Sie den qualitativen Unterschied und die besonderen Chancen für ein KI-basiertes Pricing?

Andreas Stauber: Es ist richtig, dass Dynamic Pricing nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit KI-basiertem Pricing ist. Grundsätzlich kann Dynamic Pricing auch durch regelbasierte Systeme erreicht werden. Der Einsatz eines solchen Systems sollte jedoch zum Pricing-Reifegrad der Organisation passen. Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, direkt von manueller Preissetzung zu einem vollständig automatisierten KI-System zu wechseln, da die Organisation, Prozesse, Kultur und auch Strategie in der Regel diesen Anforderungen nicht gewachsen sind.

Ein regelbasiertes System kann einen guten Zwischenschritt darstellen, um eine ausreichende Datenbasis aufzubauen und zu lernen, bevor ein KI-System eingeführt wird. Machine-Learning-Algorithmen benötigen nämlich extrem viele Datensätze, um effektiv zu lernen.

Prof. Riekhof: Welche konkreten Anwendungsbeispiele können Sie uns hier einmal schildern?

Andreas Stauber: Ein konkretes Anwendungsbeispiel für KI-basiertes Pricing findet sich bei Online-Händlern, die Preisoptimierung betreiben, als Beispiele könnte man hier stellvertretend Amazon.de, Zalando, MediaMarkt, Otto und notebooksbilliger.de nennen.

Diese Unternehmen greifen auf Echtzeitdaten über Kundenverhalten, Wettbewerbspreise und Lagerbestände zurück, um die Preise dynamisch anzupassen und den Umsatz zu maximieren. In diesem Zusammenhang ist Amazon wohl das bekannteste Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von KI-basiertem Pricing zur Optimierung der Preisstrategie und Maximierung der Umsätze.

Tägliche Verarbeitung von Millionen von Datensätzen

Die benötigte Datenmenge ist dabei beträchtlich: Für einen mittleren Onlineshop mit 30.000 verschiedenen Produkten müssen Informationen wie Preis, Verfügbarkeit und Produktdetails von bis zu 50 Wettbewerbern gesammelt werden. Bei mehreren Abfragen pro Tag resultiert dies in Millionen von Datensätzen pro Tag. Eine robuste IT-Infrastruktur und leistungsfähige Algorithmen sind unerlässlich, um diese Daten effizient zu verarbeiten und optimale Preise zu ermitteln.

Dynamic Pricing

Dynamic Pricing: Tägliche Verarbeitung von Millionen von Datensätzen auf der Basis von KI.
Foto: © iStockphoto

Prof. Riekhof: Sehen Sie die Anwendungsbereiche für KI-basiertes Dynamic Pricing sowohl Online als auch Offline?

Andreas Stauber: Ja. Seit der Einführung elektronischer Preisauszeichnung bzw. digitaler Preisetiketten gibt es hinsichtlich der Möglichkeiten für On- und Offline-Händler grundsätzlich keinen Unterschied mehr. Voraussetzung ist, dass beide Kanäle über ausreichend Daten verfügen, um die Technik effektiv einzusetzen.

Allerdings sind bei vielen Multichannel-Anbietern die Online-Kanäle datentechnisch häufig besser aufgestellt als die Offline-Kanäle. Während Online-Händler auf aktuellste Daten zurückgreifen können, kämpfen stationäre Händler oft mit veralteten Warenwirtschaftssystemen.

Häufige Preisänderungen im Stationärhandel werden vom Kunden nicht akzeptiert

Es ist wichtig zu beachten, dass ein Kunde sowohl online als auch offline agiert und möglicherweise unterschiedlich auf Preisänderungen reagiert. Während Online-Kunden Preisänderungen im Laufe des Tages akzeptieren, könnte es viele Kunden verärgern, wenn sich der Preis zwischen Regal und Kasse zu ihren Ungunsten ändert. Daher sollte bei der Umsetzung von KI-basiertem Dynamic Pricing auch das unterschiedliche Kundenverhalten berücksichtigt werden.

Black Box- oder White Box-Modelle im Dynamic Pricing?

Prof. Riekhof: Inzwischen setzt sich die Unterscheidung von Black Box und White Box Modellen immer stärker durch. Auf welche dieser beiden Modell-Arten setzen Sie – und warum?

Andreas Stauber: Bei der Entscheidung, ob ich ein Black-Box- oder White-Box-Modell einsetze, kommt es stark auf den Reifegrad des jeweiligen Unternehmens an. Ich arbeite sowohl mit Black-Box- als auch mit White-Box-Systemen, da beide ihre eigenen Vorteile bieten.

Für Unternehmen, die sich am Anfang ihres digitalen Wandels oder der Digitalisierung ihres Pricings befinden, halte ich White-Box-Ansätze für besser geeignet. Diese Modelle sind transparenter und ermöglichen es den Mitarbeitern, den Wandel und die Veränderungen besser nachzuvollziehen, weil sie transparent machen, welche Variablen welchen Einfluss zur Erklärung der abgeleiteten Strategien haben.

Dynamic Pricing

Die Blackbox ist nicht immer schwarz: Flugrekorder zeichnen Daten auf – der Ursprung des Blackbox-Begriffs.
Foto: © iStockphoto

Black-Box-Systeme hingegen erfordern viel Vertrauen und Geduld seitens der Unternehmen. Es braucht Vertrauen, um den Entscheidungen eines undurchsichtigen Systems zu folgen, und Geduld, um dem System die Zeit zu geben, zu lernen, ohne ständig die Entscheidungen zu revidieren und den Lernprozess zu unterbrechen.

Höhere Risiken, wenn die Systeme mit externen Daten lernen

Es gibt zwar auch Systeme, die ohne Lernprozess auskommen, aber diese basieren dann auf Daten anderer Unternehmen und nicht auf den unternehmenseigenen Daten. In solchen Fällen ist der Einsatz eines Black-Box-Modells abhängig von den individuellen Anforderungen und erfordert eine höhere Risikobereitschaft.

Wie viele Variablen braucht das Dynamic Pricing?

Prof. Riekhof: Sollte man die Anzahl der Variablen eines Dynamic Pricing Modells begrenzen? Haben Sie da konkrete Erfahrungen? Wie viele Variablen können 80 oder 90% der Varianz erklären bzw. haben den größten Impact?

Andreas Stauber: Die Anzahl der Variablen in einem Dynamic Pricing Modell hängt stark von der verwendeten Preisstrategie ab. Bei kostenbasierten Algorithmen sind meist weniger Variablen erforderlich, während komplexere Strategien wie beispielsweise Value-Based-Pricing mehr Variablen benötigen.

Intuitiv würde ich sagen, dass ich mit 4 bis 5 Variablen pro Methode zufrieden bin. Sollten mehr Variablen zum Einsatz kommen, empfehle ich, die Wirksamkeit der einzelnen Variablen kritisch zu hinterfragen und ihre Auswirkungen auf die tatsächlichen Kundenreaktionen zu überprüfen. Es ist wichtig, den Fokus auf die relevantesten Variablen zu legen, um den größtmöglichen Einfluss auf das Pricing zu erzielen und gleichzeitig die Komplexität des Modells zu reduzieren.

Die interne Akzeptanz von Dynamic Pricing

Prof. Riekhof: Stößt das Thema Dynamic Pricing sofort auf interne Akzeptanz bei den Mitarbeitern eines Unternehmens?

Andreas Stauber: Die interne Akzeptanz von Dynamic Pricing kann von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. In einigen Fällen sind Mitarbeiter offen für Veränderungen und sehen die Vorteile, die Dynamic Pricing mit sich bringt, wie etwa eine verbesserte Preisgestaltung und Umsatzsteigerung. In anderen Fällen kann es jedoch Widerstand geben, insbesondere wenn die Mitarbeiter befürchten, dass ihre Arbeitsplätze durch Automatisierung gefährdet sein könnten oder sie die Logik hinter den Preisänderungen nicht nachvollziehen können.

Prof. Riekhof: Wo wird sich Dynamic Pricing vermutlich am schnellsten durchsetzen?

Andreas Stauber: Dynamic Pricing wird sich voraussichtlich am schnellsten in Branchen und Sektoren durchsetzen, die von Natur aus bereits eine hohe Preisdynamik und Wettbewerbsintensität aufweisen. Dazu zählen insbesondere der E-Commerce, die Reise- und Tourismusbranche, sowie Transport- und Mobilitätsdienstleistungen. In diesen Bereichen haben Unternehmen wie Amazon, Uber und Fluggesellschaften bereits erfolgreich Dynamic Pricing-Strategien implementiert, um ihre Auslastung und Umsätze zu optimieren.

Darüber hinaus könnte sich Dynamic Pricing auch in traditionelleren Branchen wie dem Einzelhandel, der Energieversorgung und dem Telekommunikationssektor durchsetzen, vor allem wenn es darum geht, Angebote und Preise an individuelle Kundenbedürfnisse und Marktbedingungen anzupassen.

Dynamic Pricing: Erfolgsfaktor Daten-Verfügbarkeit

Der Schlüssel zum Erfolg von Dynamic Pricing liegt in der Verfügbarkeit von Daten, der Analysefähigkeit und der Bereitschaft der Unternehmen, auf Marktveränderungen flexibel und schnell zu reagieren. Mit zunehmenden technologischen Fortschritten und der Etablierung von KI-basierten Pricing-Systemen ist es wahrscheinlich, dass immer mehr Branchen Dynamic Pricing-Strategien in ihren Geschäftsmodellen integrieren werden.

Wie sieht das Pricing in zehn Jahren aus?

Prof. Riekhof: Abschließend eine Frage an Sie, die einen doch etwas weiteren Zeithorizont betrifft: welches sind die zwei oder drei wichtigsten Entwicklungstrends, die das Pricing in zehn Jahren maßgeblich bestimmen werden?

Andreas Stauber: In den nächsten zehn Jahren werden meiner Meinung nach einige wesentliche Entwicklungstrends das Pricing maßgeblich beeinflussen:

1. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen: Die immer weiter fortschreitende Entwicklung von KI-Systemen und Machine-Learning-Algorithmen wird dazu führen, dass Pricing-Strategien noch präziser und schneller auf Marktveränderungen reagieren können. Dadurch werden Unternehmen in der Lage sein, ihre Preise effektiver zu optimieren und sich besser an die sich ständig ändernden Kundenbedürfnisse anzupassen.

2. Personalisierte Preisgestaltung: Mit der zunehmenden Menge an verfügbaren Kundendaten werden Unternehmen in der Lage sein, individuellere und zielgerichtetere Preise für ihre Kunden zu gestalten. Dies wird dazu führen, dass die Preisdifferenzierung und Segmentierung weiter verfeinert werden, um jeden Kunden optimal anzusprechen und den Umsatz zu maximieren.

3. Nachhaltigkeit und ethische Preisgestaltung: Im Zuge der wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeit und ethischen Fragen in der Wirtschaft werden Unternehmen zunehmend Wert auf faire und transparente Preisgestaltung legen. Dies bedeutet, dass Pricing-Strategien stärker auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen abzielen und versuchen, sowohl den Bedürfnissen der Kunden als auch der Gesellschaft gerecht zu werden.

Diese Trends werden das Pricing in den kommenden Jahren prägen und den Wandel hin zu einer immer stärker datengetriebenen, individuellen und nachhaltigen Preisgestaltung vorantreiben.

Datenschutz als Herausforderung auch im Pricing

Datenschutz und die damit verbundenen gesetzlichen Regelungen könnten eine Herausforderung für die weitere Entwicklung von KI-basierten Pricing-Strategien darstellen. Sollten strengere Datenschutzbestimmungen eingeführt werden, müssten Unternehmen sicherstellen, dass sie dennoch genügend relevante Daten sammeln und analysieren können, um ihre Pricing-Algorithmen effektiv zu gestalten. Es ist wichtig, dass der Datenschutz und die Technologieentwicklung Hand in Hand gehen, um sowohl die Privatsphäre der Kunden als auch die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang müssen Unternehmen und Gesetzgeber gleichermaßen auf eine ausgewogene Lösung hinarbeiten, die den Datenschutz wahrt und gleichzeitig den Fortschritt in der Anwendung von KI und maschinellem Lernen im Bereich Pricing ermöglicht.

Prof. Riekhof: Herr Stauber, herzlichen Dank für das Gespräch!

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