Buchtipp No. 54 (2022): RUTGER BREGMANN: UTOPIEN FÜR REALISTEN

18. Auflage Hamburg 2021.

Von Hans-Christian Riekhof

Wir sind umgeben von Medien, die uns mit den Katastrophen dieser Welt in einer ungeheuerlichen Intensität konfrontieren, sei es über die Presse, das Fernsehen oder die digitalen Medien. Wir erfahren von mehr oder weniger unbedeutenden dramatischen Ereignissen, die sich weit entfernt von unserer Heimat oder unserem Aufenthaltsort zutragen. Und wir sind nur allzu empfänglich für derartige Katastrophenszenarien.

Dadurch entsteht eine mehr oder weniger wirklichkeitsfremde (um nicht zu sagen: falsche) Wahrnehmung des Zustandes unserer Welt; darauf haben Autoren wie Gregg Easterbrock (siehe Buchtipp No. 37) oder Hans Rosling (siehe Buchtipp No. 29) immer wieder hingewiesen. Auch Björn Lomborg wäre hier zu nennen.

Was uns aber fehlt, sind umfassende Vorstellungen über eine bessere Welt. Das ist eine der Kernbotschaften von Rutger Bregman: wir brauchen neue Utopien, zumal manche utopische Gesellschaftsmodelle – man denke an den Sozialismus – inzwischen an der Realität gescheitert sind.

Dabei verraten Utopien letztlich sehr viel über die Zeit, in der sie entstanden sind, und die dort dominierenden Mangelsituationen. Die mittelalterliche Vision des Schlaraffenlandes zeigt, dass Hunger, Krankheiten, Pandemien und andere körperliche Leiden den Alltag dominierten; heute hat das Schlaraffenland des Mittelalters vieles von seinem utopischen Charakter verloren.

Bregmann fordert eindringlich dazu auf, viel intensiver über Utopien nachzudenken und Utopien zu entwickeln. Seine konkreten Wunschvorstellungen für die Zukunft drehen sich um drei Kernideen: die Reduktion von Arbeit und die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und Freizügigkeit für alle und ein unbedingtes Grundeinkommen.

Bregman argumentiert, dass diese Ideen echte Chancen haben, realisiert zu werden. Und er referiert beispielsweise sehr spannende – und heute nicht in der Breite bekannte – empirische Forschungsergebnisse aus dem globalen Süden, in denen bedingungslose Geldtransfers („Give money to the poor“) eine sehr erfolgreiche Alternative zu den klassischen Entwicklungshilfe-Projekten darstellen. Der Kerngedanke: was den Armen dieser Welt fehlt, ist Geld. Über diesen Satz muss man einen Moment lang nachdenken, um dessen Tragweite zu sehen.

Rutger Bregmann trifft auch eine sehr spannende Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen Tätigkeiten, die Wohlstand erzeugen, und solchen, die Wohlstand nur umverteilen bzw. verschieben. Eine sehr bemerkenswerte Unterscheidung: Hochfrequenzhändler an den Börsen werden zwar extrem gut bezahlt, aber sie verteilen Wohlstand nur um. Möglicherweise tragen sie rechnerisch sogar zum Bruttosozialprodukt bei; wir haben ja interessante Methoden definiert, mit der wir das BSP messen.

Wir sollten das Kriterium „Wohlstand erzeugen“ vs. „Wohlstand umverteilen“ in der öffentlichen Debatte sehr viel öfter anwenden, um sinnvolle – weil Wert erzeugende – von weniger sinnvollen weil Wert nur umverteilenden Tätigkeiten voneinander abzugrenzen; eine Unterscheidung, die sich in ähnlicher Form auch bei Mariana Mazzucato (Buchtipp No. 48) findet, wenn sie über die Rolle des Staates bei der Steuerung des Innovationsgeschehens schreibt.

Bleibt nur zu hoffen, dass Sie, lieber Leser, Ihrer beruflichen Tätigkeit in einem gesellschaftlichen Wert erzeugenden Bereich nachgehen, statt nur Werte umzuverteilen.

 

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