Marcel Fratzscher: Warum sich der Staat dringend in das Marktgeschehen einmischen muss

„Es gibt drei zentrale Gründe, wieso sich der Staat in Zukunft nicht weniger, sondern stärker in das Marktgeschehen einmischen muss: erstens der technologische Wandel, da neue Technologien zunehmend zu Monopolen und einer Marktkonzentration führen und damit zu fehlendem Wettbewerb, geringerer Innovation und Monopolrenten. Um Marktversagen zu verhindern, muss der Staat solche Unternehmen stärker regulieren und notfalls auch zerschlagen.

Der zweite Grund ist die steigende Bedeutung globaler Kapitalmärkte und die damit verbundene Konzentration von Risiken, bei denen ein Scheitern selbst kleinerer Finanzinstitutionen – der Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 ist ein warnendes Beispiel – ganze Volkswirtschaften in eine tiefe Krise stürzen kann. Staatliche Institutionen und Zentralbanken dürfen diese Fehler nicht wiederholen und müssen zum Beispiel private Währungen wie den Bitcoin sehr viel stärker regulieren und eigene digitale Währungen entwickeln.

Dritter Grund für eine stärkere staatliche Rolle ist die zunehmende Globalisierung und die damit verbundene Machtverschiebung von staatlichen Institutionen hin zu multinationalen Unternehmen. Seit Jahrzehnten spielen große Unternehmen Staaten gegeneinander aus und haben einen Steuerwettbewerb ausgelöst, bei dem Unternehmenssteuern gesenkt und Steuern für Beschäftigte erhöht werden. Die kürzlich von der G20 beschlossene globale Mindeststeuer für Unternehmen von 15 Prozent ist ein erster, kleiner Schritt, um eine funktionierende Marktwirtschaft wieder gewährleisten zu können.

Deutschlands gute staatliche Institutionen und der starke Sozialstaat bilden die Grundlage für unseren Wohlstand und die erfolgreiche Bewältigung der Pandemie. Eine Modernisierung staatlicher Organisationen – von Bürokratieabbau und effizienteren Prozessen über eine stärkere Neutralität und Autonomie von Lobbyinteressen bis hin zur Digitalisierung öffentlicher Dienste – muss eine dringende Priorität sein.“

– Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor an der Humboldt-Universität in Berlin, in „Plädoyer für eine neue Ordnungspolitik – Finanzkrise und Pandemie haben gezeigt: Wir brauchen keinen schwächeren Staat, sondern müssen seine Institutionen reformieren“, Handelsblatt, 12. August 2021, Nr. 154

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